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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Leidenszeit‹ ist abgehandelt. Wer auf ne wirkliche Hintergrundstory aus ist, dem können nur wir dienen. Sagte ja bereits: Ohne uns läuft nichts …« Die Rückfahrt durch Westberlin dauerte, weil sie in den nachmittäglichen Berufsverkehr gerieten. Immer wieder brachte Stau sie zum Stillstand. Man kam sich klein vor in dem bewitzelten Pappkoffer, eingeklemmt zwischen den mächtig wirkenden Karossen aus westlicher Produktion. Damals waren Trabiwitze beliebt, deren Pointen den zuvor beliebten Ostfriesenwitzen entlehnt zu sein schienen; und doch fanden der Chauffeur und sein Beifahrer Trost in der Tatsache, daß sich die Verkehrsdichte gleichermaßen gerecht auswirkte: Ob Mercedes oder Trabi, alle kamen nur schleppend voran. Fonty sagte dazu: »Kolossaler Schlamassel! Und das ist nun der heißersehnte Kapitalismus.«
Seitdem Madeleine weit weg war, fand er wieder Zeit für lange, alles Tagesgeschehen verplaudernde Briefe, sogar für Vormittage in der Imbißstube Potsdamer Straße, schräg gegenüber der Hausnummer 134 c; dort hatte er ein Tintenfaß deponiert.
Professor Freundlich, dem er die jüngst zugeflogene Enkeltochter allerdings unterschlagen hatte, verdankte seiner Brieflaune einen zugespitzten Rapport vom »filmreifen Agententausch« auf der Glienicker Brücke, die er »das Mekka aller pensionsreifen Geheimdienstler« nannte. Und Martha Grundmann, geborene Wuttke, erhielt wieder Post. Sie las, was uns viel später zur Auswertung überlassen wurde: »… Soviel zu dem uns lange wohlgesonnenen, dann aber regnerischen Wetter; gewiß wird Mecklenburgs Himmel während der Nacht zum dritten gleichfalls so national gestimmt gewesen sein. Jedenfalls haben wir den Einheitsrummel, samt eher schütterem Glockengeläut, tapfer und dank familiärer Auffrischung überstanden. Mama wird Dir sicher aus ihrer mich oft verblüffenden Sicht mitgeteilt haben, daß Mademoiselle Aubron es verstanden hat, unsere Herzen im Handstreich zu erobern; und wahrscheinlich ist es meiner lieben Mete ähnlich ergangen; denn wie ich in einem sonst eher ledernen Brief Friedels lese, hat sich die so zierliche wie resolute Person in Schwerin, Wuppertal und sogar in Bonn-Bad Godesberg vorgestellt, bevor sie nach Paris weiterreiste. Kann nur lachen, wenn ich an meine Herren Söhne denke – besonders an Teddy und vermute, daß sich dessen Prinzipienreiterei, angesichts der von mir als zartbitter empfundenen Person, mehrmals vergaloppiert haben wird. Muß nun, was meinen in die Jahre gekommenen Sündenfall betrifft, das abschließende Urteil der Familie überlassen, bin aber sicher, daß mich meine Mete nicht an den Pranger stellen wird, vielleicht hilft Dir Dein neuerworbener Katholizismus, Deinen alten Vater in milderem Licht zu sehn. ›Mensch ist Mensch‹, wie schon der General von Bamme in ›Vor dem Sturm‹ sagte. Von Mamas Gutherzigkeit in dieser Sache war ich überrascht. Ich befürchtete eine knifflige Situation zu Hause. Anfangs schien sie auch ganz baff zu sein, doch dann siegte ihre Neugierde: Unbedingt wollte sie rudern, und zwar zu dritt. Doch was diese familiäre Ruderpartie betrifft, die Dir sicher bis zu Madeleines rettender Heldentat hin ausgemalt worden ist, kann ich nur hinzufügen, daß mir dabei der beigelegte Vierzeiler eingefallen ist, weil beim Rudern Erinnerungen aufgewühlt wurden, beklemmende und belebende, solche, die der Zeit anheimfallen, und andere, die zu Buche schlugen: Bilanzierend waren unterm Strich die belebenden im Plus. Und stell Dir vor, durch den französischen Anstoß regelrecht verjüngt, haben Mama und ich am sechzehnten unseren fünfundvierzigsten Hochzeitstag gefeiert, in den Offenbach-Stuben, versteht sich, zumal unser Ehebund damals eher ärmlich mit Pellkartoffeln zu Hasenpfeffer (dank Zutat des Karnickelzüchters Max Wuttke) abgefeiert wurde. Doch diesmal gab es, auf Mamas feinfühligen Wunsch hin, ›Ritter Blaubart‹, was, aus dem Offenbachschen übersetzt, heißen soll: Rinderfilet im Gemüsenest – und hinterdrein Palatschinken mit heißen Schattenmorellen. Nach solch üppiger Kost – und gesprächig vom Wein – gestand mir Mama, was ich nun Dir ganz briefgeheim mitteile: Auch ihr sei das Warten während Kriegszeiten öde geworden. Ihre Verlobungszeit habe hauptsächlich aus Warterei bestanden. Kurzum, sie deutete mir einen bei der Reichsluftfahrt am Schreibtisch sitzenden Oberleutnant an. Nun ja, der häufige Fliegeralarm. Im Luftschutzkeller sei man sich näher und näher gekommen.

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