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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Ritual durch. Anfangs hatte der zum Superspion beförderte Tagundnachtschatten seinen patenten Regenschirm aufspannen wollen, doch Fonty war dagegen: »Der paßt nun wirklich nicht hierher.« Also setzten sie sich bei Windstille dem Nieseln aus.
    Nur die Gehstreifen waren ihnen eingeräumt. Sie mißachteten den in jede Richtung fließenden, dann wieder stockenden Autoverkehr. Hoftaller, der auf Fontys Weisung zur Potsdamer Ostseite vorausgelaufen war, kam auf dem fast unbenutzten Weg für Personenverkehr, und zwar auf dem rechten Streifen, Schritt für Schritt in Richtung Glienicke näher; Fonty hatte sich auf ein Handzeichen des entfernten Austauschobjekts von West nach Ost in Bewegung gesetzt. Schritt vor Schritt. Nicht übereilt, nicht verlangsamt. Dort, inmitten der Brücke, unter der sich zwei Havelseen zum schmalen Durchlaß verengten, gingen sie ohne Blickwechsel aneinander vorbei, jeder auf seine weisungsbefugte Schaltstelle zu. Das verlangte nach Wiederholung. Hin und zurück unter den sanft von Träger zu Träger schwingenden Bögen. Anfangs auf Fontys Befehl, jetzt nach Hoftallers Wunsch. Unter der Brücke verkehrten einfach und doppelt besetzte Paddelboote, dann eine Motorbarkasse; das kümmerte niemanden. Mal war es Fonty, der als östliches Objekt gegen das westliche Faustpfand ausgetauscht wurde, dann wieder kam der Tagundnachtschatten aus dem Osten Schritt vor Schritt näher, während Fonty den Westen hinter sich ließ, bis beide gleichauf waren, nunmehr einen Augenblick lang zum Standphoto erstarrten, blicklos, wortlos, um sich sogleich wieder Schritt vor Schritt dem einen, dem anderen System, den Weltmächten, Todfeinden und Sicherheitsgaranten, dem Klassenfeind und der Roten Gefahr zu nähern und sich dem jeweils eigenen Lager zu überlassen. Ein Spiel mit wenig Varianten. Fonty gegen Hoftaller, Hoftaller gegen Fonty. Beide waren einander wert. Den einen gab es nicht ohne den anderen. Mit gleichhohem Einsatz wurde gespielt, und beiden war die Glienicker Brücke von Alptraumlänge. Monoton sah das aus. Schon ließ, wie nach allzu schleppender Pflichtübung, die Spannung nach, da fielen ihnen doch noch Variationen ein. Der aus der Kälte kommende Fonty zwinkerte mit dem rechten Auge, sobald sie gleichauf waren, und der vom Klassenfeind übergebene Hoftaller zwinkerte mit dem linken. Zuletzt sagten sich beide Objekte beim Austausch sogar ein Wörtchen. »Mach’s gut!« sagte der eine. »Mach’s besser!« der andere. Das mag verwundern. Sie hätten sich, ihrer Systemzugehörigkeit entsprechend, beschimpfen können, mehr gezischt als geschrien: »Du Kapitalistenknecht!« -»Du rote Sau!« Aber nein, sie wünschten einander besseres Gelingen. Zwei Profis mit Berufsethos, zwei Realisten fern aller Ideologie, zwei Spezialisten von Profession und gleichem Rang, die sich aus nie verjährter Erfahrung ihrer Unsterblichkeit sicher waren, wenngleich Hoftaller, als beide wieder im Trabi saßen, abermals seine relative Nutzlosigkeit beteuerte: »Im Vergleich mit Topagenten bin ich nur Durchschnitt …«
    »Ach was, Tallhover. Sie waren doch immer kolossal auf dem laufenden, wußten im voraus schon …«
»Aber Sie hatten die eigentliche Macht, Bücher, ne ganze Armee gereihter Wörter im Rücken …«
»die sich an der Zensur, deren Fürsorger Sie sind, gerieben, manchmal aufgerieben haben. Ohne Zensur …«
»Mag ja sein, Fonty, daß wir uns irgendwie ergänzen. Doch nur nach Aktenlage sind wir gleich.« Dann bedankte er sich. Mehr noch, er sah sich zu Dank verpflichtet. Fast hätte er Fonty umarmt, doch es kam nur zum Händedruck und zu Gestammel: »Ahnen ja nicht, wie deprimiert ich … Kam mir überflüssig … Gab nur noch ne traurige Figur ab … Hat mir gutgetan, dieses alberne Spielchen … Weiß jetzt wieder, was ich mal gewußt, dann vergessen hatte … Na, wie glatt das geht, Systemwechsel … Man bleibt, wer man ist … Auf beiden Seiten der Brücke … Danke, Fonty.« Er gab den Händedruck auf und lächelte nun wieder altbekannt. So gutgelaunt hätte Hoftaller es gerne gesehen, wenn man gemeinsam über die Glienicker Brücke nach Potsdam hinein und zur Dortustraße gefahren wäre, doch abermals wollte Fonty nicht gefällig werden. So schroff lehnte er einen Besuch im Archiv ab, daß Hoftaller nachgab; allerdings versicherte er auf unsere Kosten: »Macht nichts! Bringt sowieso nicht viel. Die haben doch nur Langeweile in ihren Karteikästen. Kennt man alles. Selbst das Kapitel ›Storms Potsdamer

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