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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Jedenfalls sind wir nun, was das Sündenkonto betrifft, gleichauf, obzwar Mamas kriegsbedingte Irrungen, Wirrungen folgenlos geblieben sind, wie sie – nun schon mit Schwips – geschworen hat. Dennoch bleibt mir (als Strafe?) des Mäusleins Nagezahn, der nie ermüdende Zweifel, was unseren armen Georg betrifft, der ja, so glaubte ich fest bis zum Hochzeitstag, gefeiert in Offenbachs Stuben, seit meinem Fronturlaub im Oktober dreiundvierzig als Zeugnis meiner Lendenkraft gelten konnte. Doch lassen wir das. Was ist schon zweifelsohne? Zur Zeit geben wir dem verführerisch labyrinthischen Gebäude der mit uns historisch gewordenen Reichsluftfahrt einen neuen, zukunftsträchtigen Sinn: Dort wird in wenigen Monaten die Treuhandanstalt Quartier beziehen. Die Avantgarde ist schon da. Und Dein alter Vater gehört ihr bei gutem Sold beratend an. Zur Zeit ist er dabei, mit Hilfe eines beredsamen Gutachtens den unverwüstlichen Paternoster vor Modernisierung, das hieße vor brutalem Ausbau zu retten. Hier ist das Wort ›abwickeln‹ in Mode; doch solang ich nicht dran bin, läßt sich gut spotten, was auch fleißig besorgt wird. Im übrigen genieße ich die bessere Hälfte meiner Halbtagstätigkeit. Wir, das heißt mein altvertrauter Kumpan (der meiner Mete verständlicherweise übel aufstößt) und meine Wenigkeit, machen neuerdings Ausflüge im fabrikneuen Trabant. Nach Cottbus und Neubrandenburg, hier, wo ich zu Zeiten des immerfort siegenden Sozialismus über den von mir geschätzten Maler Blechen gesprochen habe, dort, wo ich mit meinem Katte-Vortrag und einigen beiseite gesprochenen Befehlsverweigerungen nach Marwitzscher Lesart gewisse Schwierigkeiten bekam; und kürzlich war die Glienicker Brücke unser Ziel, ein Ort, der zu Rückblenden einlädt. Mein Kumpan wurde nicht müde, die Namen von Topagenten herunterzubeten, deren Wert durch Austausch zu steigern war. Am Ende kam er sich so erbärmlich mittelmäßig vor, daß ich ihm wieder aufhelfen mußte. Wenn es nicht so verdrießlich geregnet hätte, wären wir besser auf die Potsdamer Seite gewechselt. Dort ergibt sich, wenn man gleich hinter der Brücke nach rechts abbiegt, ein herrlich weiter Blick übers Wasser bis hin zur Pfaueninsel. Um endlich auf Deinen Grundmann zu kommen: Du schreibst, er sei ›sehr nachsichtig‹ mit Dir, was einerseits Beleg von Herzensgüte ist, mir aber kundtut, daß Du ihm offenbar Anlässe für Nachsicht frei Haus lieferst. Zwar kann ich verstehen, daß Dir die Villa mit Seeblick zu groß ist, aber besser als das Mansardenloch in der Potsdamer Straße, wo meiner Mete nur ein Kämmerchen blieb, wird sie allemal sein. Die Kunst besteht wohl darin, sich auch im Großen zu bescheiden. Nun aber noch einmal zu meinem Arbeitgeber, der Treuhand: Deren Schweriner Filiale wird Deinem Grundmann gewiß filetstückgroße Angebote machen; hoffentlich legt er sich nicht zuviel auf den Teller …«
Fortan wollten Hoftaller und Fonty nicht mehr den unansehnlichen Trabi der Westberliner Verkehrsdichte beimischen. Kein Gespött wünschten sie zu hören oder nur zu vermuten. Ausflüge nach Spandau – Besichtigung der Zitadelle – oder nach Tegel, zum Humboldt-Schlößchen, wurden vom Programm gestrichen. Aber über die Autobahn wagten sie sich aus dem Ostteil der Stadt nach Frankfurt an der Oder, um einerseits Blicke über den Fluß nach Polen zu werfen und andererseits den zentralen Tatort des Erstlings unter den Romanen nach Spuren abzusuchen. Fonty ließ sich darüber schon während der Hinfahrt aus. Und Hoftaller tat am Steuer so, als sei er darauf erpicht, zu hören, was dazumal einen annähernd Sechzigjährigen bewogen haben könnte – kaum von den Sekretärspflichten und Intrigen der preußischen Akademie befreit –, als nunmehr freier Schriftsteller seine Familie zu verunsichern und -im Rückblick auf die Franzosenzeit – einen Wälzer zu Papier zu bringen, der sich, wie das Oderbruch, allzu weitläufig verzweigte. »Hatte, während ich ›Vor dem Sturm‹ schrieb, schon anderes im Kopp. Den inneren Niedergang Preußens, kurz bevor Napoleon seine Aufwartung machte: ›Schach von Wuthenow‹, eine knappe Novelle. Während im breit geratenen Erstling die preußische Niederlage schon ausgefochten ist, hat der Korse in Rußland gleichfalls seinen Meister gefunden. Alle Zeichen stehen auf Sturm. Befreiung vom fremden Joch! Reformen, im Dutzend billiger. Dennoch: hätte zum königstreuen Volksstaat führen müssen. Stein, Hardenberg, Gneisenau und

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