Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
sagen, Wuttke. Ist doch ne Sache. Wird selbstverständlich nach westlichem Tarif bezahlt. Demnächst sind wir Bundesbehörde und nur dem Finanzministerium unterstellt. Da guckt dann keiner mehr durch. Nur wir, Wuttke, nur wir. Außerdem bleibt Freizeit genug.« So kam es, daß Fonty bald nicht mehr als Aktenbote von Stockwerk zu Stockwerk, sondern, bei guter Bezahlung, beratend tätig war. Für später wurde ihm sogar im Nordflügel, der an die Leipziger Straße grenzte, ein eigenes Dienstzimmer zugesagt, das weit genug weg vom nunmehr alltäglichen Betrieb lag: Vom obersten Stock sollte er in den Himmel und in einen der geschlossenen Innenhöfe blicken können. Fonty freute sich auf das Zimmer. Aber vorerst herrschte noch Baulärm bei gleichzeitig stiller Abwicklung. Vor dem Umzug der Treuhand vom Alexanderplatz in die Otto-GrotewohlStraße mußte das geräumte Gebäude eine gründliche und allen stehengebliebenen Mief vertreibende Renovierung erdulden. Hausputz fand statt. Reiner Tisch wurde gemacht. Alles sollte westlicher Optik genügen. Doch sorgte Fonty in beratender Funktion dafür, daß einiges beim Großreinemachen überlebte. Ein Teil der in über zweitausend Diensträumen hinterbliebenen Topfpflanzen, unter ihnen Zimmerlinden und Gummibäume, aber auch Efeuaralien, Pfeilwurz und dreifarbiger Steinbrech, sollte in geeigneten Räumen für spätere Liebhaber von pflanzlichem Raumschmuck aufbewahrt und gepflegt werden. In beratender Funktion schrieb er: »Die behördliche Liebe zu Alpenveilchen und Becherprimel ist gesamtdeutsch. Was uns Deutsche verbindet, ist das immerfort blühende Fleißige Lieschen. Was weg muß, muß weg, doch hüten wir uns davor, Topfpflanzen, die immerhin Mauer und Stacheldraht überlebt haben, brutal abzuwickeln.«
    Ferner legte man, Fontys beratendem Hinweis folgend, auf allen Korridoren jene Linoleumböden wieder frei, die zu Zeiten der Reichsluftfahrt gelegt worden und unter der abgetretenen sozialistischen Auslegware blank geblieben waren. So kam es, daß die Korridore, als nach drei bis vier Monaten Hausputz überall westlicher Standard erreicht war, wie neu glänzten. Doch bevor es soweit war, fand der Treuhandberater Wuttke Zeit für Extratouren von außerberuflicher Reichweite. An Nachmittagen und an Wochenenden lud Hoftaller zu Ausflügen mit seinem Trabi ein. Mal sollte es kurz hierhin, mal entfernt dorthin gehen. Schlösser und Pückler-Muskausche Parkanlagen, Denkmäler und sonstige Sehenswürdigkeiten standen auf dem Programm. Selbst bei nun wechselhaftem Wetter war keine Grenze gesetzt. Und Fonty, den seit der Abreise seiner Enkeltochter nach Frankreich ein oft schmerzlich ziehendes Fernweh heimsuchte nahm die Einladungen an.
    Diese einst begehrte, doch dann dem Spott feile Billigkarosse, dieser nun bundesweit verschriene Stinker, im mobilen Emblem des Mangels, dem auslaufenden Modell, in einem der vieltausend zu Schrott erklärten Produkte, mit einem Zweitakter, dem Pappmobil ohnegleichen, das vormals allenfalls nach langjähriger Wartezeit lieferbar gewesen war, fuhren Hoftaller am Steuer und Fonty als Beifahrer raus aus Berlin-Mitte, über die Stadtgrenze hinweg, zum Beispiel nach Oranienburg, dessen von allerlei Prinzessinnen ungeliebtes Schloß während der Mauerjahre von dort kasernierten Grenzsoldaten verwohnt worden war. Oder ihr Ziel hieß Cottbus, ohne daß sich dem Stadtbummel ein Ausflug in den nahen Spreewald angeschlossen hätte. Und nach Neubrandenburg waren sie unterwegs, wo sie die übriggebliebene Stadtmauer abschritten und sich mal dieses, mal jenes wohnlich ausgebaute Wehrtürmchen zum Domizil wünschten; weil ihren Dienstjahren nach Ruheständler, spielten Fonty und Hoftaller gerne ihr Recht auf einen Alterssitz aus; dabei lag ihnen nichts ferner als seßhaftes Dahindämmern. Von Ort zu Ort kamen Erinnerungen hoch. Zitatsicher fragten sie einander nach Kulturbundvorträgen ab, etwa nach dem harmlosen, in Cottbus gehaltenen Referat über den von hier stammenden Maler Karl Blechen, aber auch nach kitzligen Stellen jenes Vortrags, den Fonty in Neubrandenburg und später in Rathenow unter dem Titel »Was sagt uns Katte heute?« gehalten hatte und dessen aufrührerische Thematik – Kronprinz gegen König, Fluchtversuch, Hinrichtung -dem Sicherheitsbedürfnis des Arbeiter-und Bauern-Staates zuwider war. Beide lachten über ängstliche Striche im Redemanuskript, die der eine verfügt, der andere frei vortragend mißachtet hatte. So lang die Rückfahrt

Weitere Kostenlose Bücher