Ein weites Feld
Nur unsere sanftmütigen Revolutionäre und Montagsredner gehen bei dieser Praxis leer aus, was sie ehrt, gewiß, ihnen aber zugleich ein hilfloses, wenn nicht ridiküles Ansehen gibt. Doch auch das, liebe Mete, gehört zur Tagesordnung geschichtsträchtiger Zeiten. War nach siebzigeinundsiebzig nicht anders oder besser. Immer wird es die Treibels und deren Verwandtschaft vom Stamme Nimm geben. Dieses kommerzienrätliche Pack, das vornweg den höheren Werten und dem Gemeinwohl eine Sonntagsmusik bläst, doch wochentags und hinterrücks sein krummes Ding dreht; und die Grundmanns haben – Frau von Bunsen eingeschlossen und so münsterländischkatholisch sie sein mögen – einen Hang zur Treibelei. Dieses verwandtschaftliche Gehabe stieß mir schon während Deiner Hochzeitsfeier auf. (Hatte nicht Frau von Bunsen bereits den raffenden Blick auf Junkerland in der östlichen Altmark gerichtet?) Sollte mich übrigens nicht wundern, wenn Dein Grundmann, über alle liberalen Sprüche hinweg, demnächst bei der Nachfolgepartei von Stöckers Christlich-Sozialen, also bei der Block- und Hofpredigerpartei reüssiert, kommunalpolitisch versteht sich, etwa als Dezernent für das Bauwesen. Sei ein braves Kind und lies ihm bitte bei Gelegenheit, etwa zum Schoppen nach dem Abendessen, ein paar einschlägige Stellen vor. Geeignet ist die Partie zum Halensee und den Schwanenhäuschen ohne Schwäne. Oder besser noch, wie Jenny Treibel die Schmidts besucht und Corinna ihr Paroli bietet. Denn das bist Du auch, meine Mete, immer ein Stück Corinna, wobei sich allerdings diese Person eher auf calvinistisches Herkommen als auf Deine Spätlese katholischen Meßweins berufen würde. Was aber Grundmann betrifft, sage ihm: Baudezernent heute ist nicht besser als Kommerzienrat damals; ganz zu schweigen vom Reserveleutnant Vogelsang und der Wiedergeburt seines Typs. Doch nun zu Mama. Sie sieht sich ganz obenauf, seitdem ich im Sold der Treuhand stehe. Fast glaube ich, daß es, außer dem monatlich anfallenden Stück Geld, das Wort Treuhand ist, welches ihr Wohlgefallen bereitet. Unter der Treuhand, meint sie, kann nichts schiefgehn. Zweifelsohne: Treuhand ist mehr als Kulturbund! Ich bin in ihren Augen (und gleichfalls aus Sicht Deiner gleichbleibend naiven Jugendfreundin Ingemaus) sozusagen aufgewertet, weil zum Treuhänder veredelt. Nun, im Grunde hat sie ja recht. Jahrzehntelang wurde ich unter ideologischer Aufsicht geschurigelt. Mit Menzels Industriebildern (der Eisengießerei) sollte ich die Geburtsstunde des sozialistischen Realismus vordatieren. Penetrant hat mich parteiliche Pfennigfuchserei um die besten Passagen meiner Vorträge gebracht. Diesen roten Pfaffenelfer kennst Du ja aus Deiner vorkatholischen Zeit. Nicht mit dem Klassenstandpunkt vereinbar, hieß es. Oder: Zu versöhnlerisch! Oder punktum: Reaktionär! Davon ist bei der Treuhand keine Rede. Meine Denkschrift zugunsten des Paternosters, den man à tout prix gegen einen Schnellift austauschen wollte, wurde an höchster Stelle belobigt. Und demnächst soll ich sogar ein eigenes Dienstzimmer bekommen und einen Auftrag dazu. Etwas in Richtung Öffentlichkeitsarbeit, hat mir mein altvertrauter Kumpan, der ja bekanntlich das Gras wachsen hört, vorweg geflüstert. Damit ist, versteht sich, Propaganda gemeint. Übrigens soll ich Dir von ihm Grüße sagen. Lach doch darüber! Jüngst kam aus Frankreich ein reizendes Briefchen, dem ich nichts schuldig bleiben will. Auch Professor Freundlich soll heute lang aufgeschobene Antwort bekommen. Desgleichen Friedel, dessen jüngste Verlagspläne, nach Maß der Herrnhuter, nunmehr global missionierend sind. Von Teddy kein Wort. Restlich ist zu melden, daß mich der neuerdings als Untermieter einquartierte Fernsehapparat über meine Neigung hinaus – und trotz Schlechtwetter – zum Spaziergänger macht; weil mir aber von allen Religionsformen die Sonnanbetung am fernsten steht, bin ich über das ewige Grau nicht sehr unglücklich. Übrigens schreibe ich Dir in meinem nun schon alteingesessenen Café-Stübchen mit Blick auf die Potsdamer Straße; nur die Hausnummer schräg gegenüber ist echt …«
An den Rand dieses Metebriefes stand ferner umlaufend gekritzelt: »Friedlaender schrieb immer anschaulich. Selbst wenn er nur gesellschaftlichen Klatsch in der Feder hatte, blieb er geistreich und zutreffend. Weshalb ich in Nordaus Artikeln die Judenschärfe des Ausdrucks schätzte. Und ähnlich geht es mir mit Freundlich, der noch als Kommunist
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