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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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rausreden. Mein bei der Treuhand zur Zeit noch geringfügiges Arbeitsvolumen erlaubt ausführliche Korrespondenz. Aber sobald ich ein eigenes Dienstzimmer habe …«
    Das ließ auf sich warten. Weiterhin mußte die Kaffee- und Imbißstube in der Potsdamer Straße als Ersatz taugen. Also bekamen die Tochter in Schwerin, die in Paris studierende Enkeltochter, der mittlerweile in den vorzeitigen Ruhestand evaluierte Professor und nach seinem in Wuppertal verlegerisch tätigen Sohn Friedel auch der in Bonn beamtete Teddy mehr Post, als sie beantworten konnten oder wollten; Fontys Versuch, seinen Zweitgeborenen durch besorgte Briefe zurückzugewinnen, mißglückte immer wieder, und seine Frage, ob Teddy als Beamter im Verteidigungsministerium während zurückliegender Jahre Kontakte mit einer gewissen Person unterhalten habe, blieb ohne Antwort. Theo Wuttke mußte sich weiterhin um seinen verstockten, der Familie abtrünnigen und womöglich von Machenschaften bedrohten Sohn sorgen. Nichts davon in den Briefen an dessen Bruder und Schwester. Fonty verstand es, Peinlichkeiten unter der Decke zu halten; aber gänzlich ungebremst teilte er sich bei Weinbrand und Tee in einer Epistel von beträchtlicher Länge mit, die wir nur gekürzt wiedergeben können. Da sich Anfang Dezember einiges in der Politik tat, schrieb er an seinen Brieffreund in Jena über den Ausgang der Bundestagswahl: »Dieses Ergebnis, zu dem ich partout nicht beitragen wollte, bestätigt nicht nur die Zahlen vorausgegangener Stimmenzählerei, sondern zugleich die gesamtdeutsch übergreifenden Geld-, was heißen soll Machtverhältnisse; im Grunde sollte man die Regierungsgeschäfte der Bundesbank anvertrauen.« Weit mitteilenswerter war ihm der Zweck seines neuen Auftrags: »Stellen Sie sich vor, lieber Freundlich, hier gibt es eine Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, und diese hat mir eine an sich reizvolle Aufgabe gestellt, nämlich die Darlegung der baugeschichtlichen Hintergründe der Treuhand. Mit dieser Schrift aus meiner Feder soll geworben werden. Seitdem gehen mir Phrasen wie ›Public Relations‹ und ›That’s the message‹ wie geschmiert von den Lippen. Ich soll den Gebäudekomplex Ecke Leipziger-, Otto-Grotewohl-Straße geschichtlich erlebbar machen. Vielleicht erlaubt Ihnen Ihr unfreiwilliger Ruhestand, mir den einen oder anderen Tip zu geben. Verstehen Sie bitte diesen eigennützigen Wunsch als Ausdruck unserer langjährigen Freundschaft. Was aber Ihre israelfixierten Töchter betrifft (und ihre zwillingshaften Zwänge), bin ich ganz auf selten Ihrer Frau, deren Rat ›Abwarten und Tee trinken‹ mir furchtbar richtig zu sein scheint …« Gleich danach war er wieder bei seiner neuen Aufgabe. Fonty, dem der nun bald bezugsfertige Koloß während mehrerer Phasen deutscher Geschichte offengestanden hatte, wurde Zeitzeugenschaft abverlangt. In der kurzen, vom Chef der Treuhand gegengezeichneten Auftragsbeschreibung, die er dem Brief an Freundlich als Kopie beilegte, hieß es: »Nichts darf verdrängt werden. Indem sich die Treuhandanstalt keinesfalls der Vergangenheit und deren Altlasten entzieht, plädiert sie für Offenheit. Da uns, in Kenntnis Ihrer biographischen Daten, gewiß ist, daß mit Vorrang Sie, sehr geehrter Herr Wuttke, diese Aufgabe bewältigen können, bitten wir Sie um ein Exposé der geplanten Informationsschrift.«
    Anfangs zierte sich Fonty ein wenig. In seinem Brief an Madeleine Aubron reihte er Bedenken: »Du weißt, liebes Kind, daß mein Interesse abseits der großen, zumeist mittels Blechmusik dröhnenden Ereignisse liegt. Ich lebe von unansehnlichen Einzelheiten, mithin vom Abfall. Eher als Staatsbesuche und lederne Festtagsreden können mich hintersinnige Anekdoten stimulieren, desgleichen amüsanter Klatsch und – zugegeben – familiärer Zwist. Dazumal war, wie Du weißt, als Brieffreundin das Stiftfräulein aus Dobbertin, Mathilde von Rohr. eine unerschöpfliche Quelle, flossen ihr doch alle Unsäglichkeiten des märkischen Adels unverblümt aus der Feder. Die betagte Dame lieferte eine Fülle exzellenter Roman- und Novellenstoffe. Desgleichen waren Friedlaenders Briefe Fundgruben, in denen zwar keine Juwelen glänzten, sich aber doch nützlicher Kleinkram fand. Sogenannte Nebenhandlungen, die immer die Hauptsache sind. Denn selbst bei tragischen Vorkommnissen wie Mord und Schußwechsel, etwa in ›Unterm Birnbaum‹ und ›Quitt‹ – ein Stoff übrigens, der Friedlaender zu verdanken ist –, haben die

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