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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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weit mehr Witz verbrauchte, als die Partei zuließ …« Nur uns gegenüber klagte Fonty, daß des Professors im Verlauf der Herbstmonate geschriebene Briefe »unterhalb forciert lustiger Oberfläche recht miesepetrig« geklungen hätten. »Seine Töchter sind ab nach Israel, was einen so dezidierten Antizionisten natürlich schmerzen muß. Ich habe ihm Geduld angeraten: Den Mädchen wird es dort – verwöhnt, wie sie sind – auf Dauer zu heiß werden …« Den Dezember über hatten wir ihn oft im Archiv, gottlob ohne seinen Tagundnachtschatten; doch war, im übertragenen Sinn, mit Fonty dessen Enkeltochter anwesend. Madeleine korrespondierte mit ihm wie mit uns. Nach letzten Anfragen zu Hankels Ablage konzentrierte sich ihr Interesse auf die hugenottische Abstammung des Unsterblichen. Da sie erwog, ihre Magisterarbeit in diese Richtung hin zu erweitern, deckte sie uns mit Fragen ein, die insbesondere auf Emilie Rouanet-Kummer zielten, deren zugleich französische und märkische Herkunft oft genug aus Sicht ihres Mannes kommentiert worden ist: »Mama ist heute mehr aus Beeskow als aus Toulouse …« Die Studentin Aubron sammelte solche zumeist aus den Briefen herauszulesenden Spuren. Deshalb war, sobald Fonty mit obligatem Blumenstrauß kam, von seiner Enkeltochter und deren Wißbegier die Rede. Nicht ohne Stolz machte er uns mit Briefpassagen in schulmädchenhafter Schrift bekannt, die von unstillbarem Wissensdurst zeugten; und nebenbei lieferte uns Madeleine Belege des französischen Bildungssystems, aus dem vergleichsweise preußische Strenge sprach, etwas, das hierzulande längst außer Kurs ist. Da mir von meinen männlichen Kollegen der Briefwechsel mit der Studentin aufgetragen worden war, hatte in der Regel ich das Vergnügen, mit unserem Besuch, dem Archivfreund Fonty, zu plaudern, was anstrengend sein konnte, besonders wenn er den Schwerenöter spielte und mit gelegentlich zweideutigen Komplimenten unsachlich wurde. Dagegen gab es nur ein Mittel: Ich brachte unser Gespräch auf die für ihn heikle Londoner Zeit und versuchte, seine Einschätzung der Querverbindungen zwischen der Manteuffel-Regierung und der Kreuzzeitung, zudem die Aufgaben der »Deutsch-Englischen Pressekorrespondenz« und die Rolle des dänischen Agenten Bauer zu erfragen. Doch unser Freund hielt sich zumeist bedeckt, wies ablenkend auf die »nach menschlichem Ermessen« gründlichen Forschungsergebnisse von Frau Professor Jolles hin und machte ein wenig geheimniskrämerisch darauf aufmerksam, daß einige Nebenmotive noch unerforscht seien. »Kann sich nur um Bagatellen handeln. Aber verstehe: Nichts ist von größerem Reiz für Archivare und Geheimdienstler, die sich gleichermaßen genügsam von Nebensächlichkeiten ernähren.« Dann kamen wir auf die Wißbegier seiner Enkeltochter. Wir saßen bei Tee und Bahlsenkeksen, seinem Mitbringsel nebst Winterastern. Wenngleich er Madeleines Briefwechsel mit dem Archiv ironisch nachsichtig einschätzte und unsere Arbeit, rückblickend auf einen Besuch der Tagebaureviere m« der Lausitz, mit knappem Befund – »Viel Abraum und wenig Kohle« – auf einen zitierbaren Nenner brachte, war ihm meine Korrespondenz mit der Studentin Aubron eine Quelle des Vergnügens. Allerdings ließ er sich auf direkte Fragen seiner Enkeltochter, die ja immer alles genau wissen wollte, nur abschweifend ein: »Vieles ist mir nicht mehr erinnerlich. Es fehlt am wichtigen Detail. Geschieht immer häufiger, daß das Ureigenste verlustig geht, manchmal aus Altersschußligkeit, oft mit Vorbedacht.« Ein an mich gerichteter Brief der Studentin warf die Frage auf, warum, wenn doch den preußischen Hugenotten allgemein Tüchtigkeit und Sinn fürs Pekuniäre nachgesagt werde, im besonderen Fall des Unsterblichen des Vaters Schuldenmacherei, das Bummelantentum und allgemein der Hang zur verkrachten Existenz nachzuweisen sei. Fonty bot mir zuerst einmal von seinen Bahlsenkeksen an, musterte mich dann, als wollte er mir den Hof machen, und sagte: »Apart, wie Sie Ihrer Frisur Sorge tragen; will mir vorkommen, als hätten Sie ganz den Charakter einer einstigen Fürstengeliebten.« Dann erst kam er auf Madeleine: »Nun ja, diese mir zartbittre Person läßt einfach nichts aus. Selbst abgelebtes Leben ist ihr ein druckfrischer Korrekturbogen, der unablässig durchgeackert werden muß. Was zwischen Buchdeckeln steht, reicht nicht. Da helfen nur Briefe. Werde mich im nächsten Skript reinwaschen oder – unter uns gesagt –

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