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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Verantwortung … Schließlich haben wir es hier mit Menschen und nicht nur mit Zahlen … Will damit sagen, daß durch jede Unterschrift ein paar tausend Existenzen … Ist verdammt hart jedesmal, was einem da abgefordert wird … Hätte mich verweigern sollen, als mir dieser Job … Bin eigentlich – oder wie man hier sagt, im Prinzip -ein mehr oder weniger überzeugter Sozialdemokrat … Habe noch als Staatssekretär in sozialliberalen Zeiten … Und nur, weil mich große Herausforderungen schon immer … Mal steckte Stahl, dann wieder Kohle in der Krise … Doch diesmal will die leider notwendige Hauruckmethode … Außerdem schmeckt mir gar nicht, wie unser Kanzler die Drecksarbeit an andere … Während er … Naja, ist verständlich … Will als Historiker fein raus sein … Will sozusagen von keiner Schuld beleckt … Nur so wünscht er sich in die Schulbücher … Als Kanzler der Einheit, der alle überragt … Während ich … Aber da hilft kein Jammern … Sind nun mal so, die Gesetze des Marktes … Muß man wissen, wenn man … Wer sich verbraucht, wird ausgewechselt …« Hier könnte Fonty, dem der Zustand seines Chefs naheging und der den amtierenden Bundeskanzler ohnehin als »Bismarck-Verschnitt« ansah, sein Dienstzimmer – »meine bescheidene Klause« – als Ort für ein nächtliches Geplauder angeboten haben. Oder er hat den enttäuschten Mann, der des heillosen Sanierens überdrüssig zu sein schien, mit einer seiner Redensarten getröstet: »Geht einem oft so: Man will ein Rebhuhn schießen und schießt einen Hasen – Hauptsache, man trifft!«
    Jedenfalls nahm der Chef die Einladung an. Ohne die Rollschuhe abschnallen zu müssen, saß er bald auf jenem einst weinroten Sofa, das vormals, wenn nicht im Heizungskeller, dann auf dem Dachboden seinen Standort gehabt hatte. Erst vor kurzem war es Hoftaller gelungen, mit diesem verschollen geglaubten Möbel Fonty zu beglücken. Und wo vor Jahresfrist sein Tagundnachtschatten gesessen hatte, saß nun der Chef der Treuhand. Der streckte die Beine samt untergeschnallten Rollen, räkelte sich in der Sofaecke und rief: »Ist ja richtig gemütlich bei Ihnen! Uns haben sie mit lauter gestyltem Zeug vollgestellt. Alles zweckbezogen. Angeblich sollen diese Stahlsessel und Fiberglasstühle das nüchterne Kalkül fördern. Mag ja sein. Jedenfalls fühle ich mich auf Ihrem Sofa …« Weil dessen knisterndes Innenleben anfangs ein wenig irritierte, beruhigte Fonty seinen Chef mit einer der vielen Anekdoten, die er für jeden Anlaß parat hatte: »Mit der Polsterung dieses Möbels verhält es sich so wie mit des Dichters Scherenberg raschelndem Kopfkissen, in dem die unbezahlten Rechnungen seiner Frau versteckt waren …«
    Und dann plauderten sie. Des Chefabwicklers Sorgen fanden Verständnis. Sobald er in Resignation zu versinken drohte, munterte ihn Fonty mit weiteren Anekdoten auf, etwa mit jener, die von einem Verbrecher berichtet, der, bevor der Henker das Beil in die Hand nahm, nach letztem Wunsch noch einmal seine Frau im Hochzeitsstaat sehen durfte. Und als der große Sanierer, trotz aller anekdotischen Aufmunterung, plötzlich an der deutschen Einheit zu zweifeln begann, sprach Fonty einen Trost aus, den er Hoftaller gegenüber schon oft erprobt hatte: »Dennoch haben wir uns zu beglückwünschen, daß es kam, wie’s kam …« Schließlich bot der Gastgeber seinem Gast ein Gläschen Wilthener Weinbrand an, nicht ohne Hinweis auf das aus VEB-Zeiten stammende Etikett. Nun ging es nicht mehr um den Wildschützen Lehnert und den Förster Opitz, sondern um die Brandstifterin Grete Minde. Während sie Stunde nach Stunde verplauderten, begann sich die Nacht zu neigen. Nicht etwa aus eigenem Antrieb, eher von Fonty, der besorgt war, gedrängt, kam der Chef endlich wieder auf seine Rollschuhe. Kaum auf dem Korridor, rollte er schwungvoll an, maß mit kräftigen Schwüngen die Breite seiner Rennpiste aus und war als Rollschuhläufer dergestalt neumotiviert, daß auch der Treuhand, bis in alle Diensträume hinein, etwas von jener Dynamik zuteil wurde, die schließlich zum Ergebnis geführt hat.
    Doch darüber steht mehr in einem Brief an Fontys Enkeltochter, der allerdings erst drei Wochen später, kurz nach dem Mord, zu Papier kam.
    Wir müssen das Gefälle des Geschehens mit einem Einschub bremsen, denn bevor hinlänglich zitiert wird, soll im Detail nachgetragen werden. Zum Beispiel stand das besagte Sofa links von der Tür des Dienstzimmers mit Blick auf

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