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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Kurier zufiel. Zwar hörte ich kein Wort über meine ihm seit Wochen vorliegende Denkschrift, doch rief er begeistert: ›Einfach fabelhaft, daß Sie hier immer schon ein und aus gegangen sind. Sie gehören zu diesem Haus. Ich – ich sitze hier nur auf Abruf‹ Und als ich ihm von früher und noch früher erzählte und auf anno 70 kam, als mir, kaum aus französischer Kriegsgefangenschaft zurück, alle preußischen Offiziere versicherten: ›Bei uns wären Sie als Spion glatt erschossen worden‹, da hat er gelacht wie ein Junge, der keine Gefahr kennt. Fast möchte ich glauben, er war naiv. Er konnte staunen, wo es nichts mehr zu staunen gab. Ich vermisse ihn sehr. Großmama Emmi (die Dich übrigens grüßen läßt) war, als ich sie vorm Fernseher fand, wie erschlagen, blieb aber stumm angesichts der schrecklich nichtssagenden Bilder. Nur später, als im Guckkasten anderes lief, bestand sie darauf, eine Minute lang weinen zu dürfen. (Sie nennt ihre Tränen ›Hoffmannstropfen‹.) Mir wird er noch lange fehlen. Ein Mann ganz ohne Allüren. Es muß ihn immer wieder gereizt haben, den Karren -gleich welchen – aus dem Dreck zu ziehen. Und stell Dir vor, Kind, um Mitternacht fuhr er nicht selten – und kolossal einsam – auf Rollschuhen über die leeren Korridore, angeblich, um gesund zu bleiben. Ich glaube eher: Er lief sich davon.
    Und nun hat es ihn eingeholt. Was wird kommen? Man sagt, eine Frau sei als Nachfolgerin im Gespräch. Das will mir – falls eine Charlotte Corday geschossen hat einleuchten. Nur eine Frau konnte ihren Haß so auf den Punkt bringen. Nur eine Frau kann bei der hier geforderten Abwickelei genug Härte beweisen. Er wäre dafür auf Dauer zu schwach gewesen, so robust er äußerlich wirkte. Doch eine Frau steht das durch …«
    Danach ging Fonty in seinem Brief auf Madeleines Studium ein. Nur kurz spielte er auf das Verhältnis seiner Enkeltochter zu ihrem verheirateten Professor an – »Lese mit Erleichterung, daß Du ihn selten und wenn, dann aus wachsender Distanz siehst« -; auf den Mord und die als Mörderin mal in dieser, mal in jener Gestalt fixierte Person kam er in seinem Brief nicht mehr zurück.
    Wahrscheinlich hat Fonty den Gedanken an eine Täterin zeitweilig fallenlassen, denn als sich bei der Trauerfeier im Treuhandgebäude, die im historischen Festsaal stattfand, Hoftaller neben ihn setzte, zielte sein Verdacht in andere Richtung. Sie saßen auf den hintersten Stühlen. Der freie Mitarbeiter Theo Wuttke sagte so leise wie fordernd: »Muß Sie unbedingt sprechen.«
    Doch erst nach der Feier kam es im Paternoster dazu: »Seid ihr das gewesen?«
    Hoftaller antwortete kurz vorm Aussteigen: »Warum sollten wir? Dieses System erledigt sich selbst.«
So kam es, daß er Fonty in dessen Dienstzimmer folgte. Der wies auf das Sofa und sagte: »Vor wenigen Tagen noch saß er in dieser Ecke und hatte Vorahnungen.«
»Verständlich, wenn man ganz oben steht.«
»Und euch im Haus und zum Feind hat, nicht wahr?«
»Wir haben uns bisher jedem System gegenüber loyal verhalten, und nur, wenn die Ordnung gefährdet war …«
»… dann habt ihr …«
»Und ein Schwachpunkt erkennbar wurde …«
»… zum Beispiel der Chef …«
»Für den waren die Dienste in Pullach und Köln zuständig, während wir auf reibungslosen Übergang spezialisiert sind, weshalb für uns gewisse Personen …«
»… reif zum Abschuß sind. Oder?«
»Kann man so sehen, Fonty. Wer sich erkennbar exponiert und doch meint, auf unseren Schutz verzichten zu können, der muß sich nicht wundern …«
    »Habe ich mir gleich gedacht: operativer Vorgang, Sicherheitslücke mußte geschlossen werden, eure Handschrift!«
    »Sie liegen völlig daneben …«
»Ja oder nein?«
    »Unter uns gesagt: Wir tippen auf die RAF. Gibt ja inzwischen ne Menge Hinweise und ein Bekennerschreiben sogar …«
    »Das sagt gar nichts!«

    »Außerdem spricht die sorgfältige Vorbereitung dafür
    …«
»Jetzt bitte keinen Vortrag über Logistik. Ihr seid
schließlich keine Anfänger und habt …«
»Na schön: Heißsporne gibt’s überall. Und ne ganz
gefährliche Sorte sind Idealisten, denen der Systemverfall
nicht schnell genug …«
»Da haben wir es: Er war euch zu weich, stimmt’s?« »Nun, für Härte ist eine Frau bekannt, die beste
Aussichten hat, demnächst die Chefetage zu beziehen. Hier im Haus hieß es schon lange: muß zügiger abgewickelt werden, weil sonst bei dem Schneckentempo
ein gewisser Sozialdemokratismus …«
»Und da

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