Ein weites Feld
den Schreibtisch und das Fenster, von dem aus der Innenhof eingesehen werden konnte. Dazwischen lag ein Teppich aus Kokosfaser, den kürzlich Hoftaller spendiert hatte. Das und noch mehr berichten wir nach Hörensagen, denn nie haben wir Fonty im Treuhandgebäude besuchen dürfen; und gewiß hätten wir uns gefürchtet, dort vorzusprechen. »Nur nicht auffallen!« war schon immer unsere Devise gewesen. Was hätte das Archiv auch zu bieten gehabt, außer laufenden Kosten? Doch soviel ist sicher: Zwei weitere Male hat ihn sein Chef besucht. Der einsame Rollschuhläufer. Die mitternächtlichen Plauderstunden. Das knisternde Sofa. In kleinen Gläsern der restliche volkseigene Weinbrand. Gedanken und Mutmaßungen über »Quitt« und die Folgen. Rückblicke auf die brennende Stadt Tangermünde. Vielleicht sogar einige kleine Geheimnisse, die zu spätfrüher Stunde nach Luft schnappen durften. So jedenfalls nahm eine Freundschaft ihren Anfang, die beschleunigt ausgelebt werden mußte. Auch danach hat Fonty über den Chef der Treuhandanstalt immer nur mit Wärme gesprochen. »Nichts schlimmer, als zum Erfolg verurteilt zu sein«, sagte er zu uns, um sein Urteil sogleich zu relativieren: »Sicher, er war fürs Schnelle veranlagt. Das konnte er: Härte beweisen. Und doch sollte er als Mensch unter Menschen und nur aus sich heraus beurteilt werden …«
31 Frau Frühaufs Pflanzen
»Mein liebes Kind, nun ist sie geschehen, die nicht mehr rückrufbare Tat. Beim Vollzug eines Gedankens, der allzu rechtgläubig sein Ziel suchte, fiel der Schuß, und dennoch geht das Leben weiter, als habe man diesen Verlust einkalkuliert, als fordere der freie Markt diesen Preis; entsprechend unbekümmert gibt sich die Börse. Natürlich ist nach außen hin Halbmast angesagt. Mit offiziellen Tränen wäre ein Schwimmbassin zu füllen. Aber so süchtig ich alles mir greifbare Zeitungslöschpapier nach einem guten Wort durchraschle, nichts spricht zu Herzen, spaltenlang werden lederne Hülsen geboten, der Mord hat feige oder hinterrücks zu sein, dem Opfer wird Mut zur Härte und Pflichterfüllung bis zum Letzten bestätigt, und in Leitartikeln ist man bestürzt oder betroffen. Der Kanzler hingegen scheint mir eher verärgert, weil er nun, nachdem sein Pappkamerad, der allen Haß auf sich zog, nicht mehr stillhält, unübersehbar verantwortlich ist; er mag sich (wie der Kaiser im Märchen) entblößt vorkommen, ein kolossaler Nackedei. Dennoch bin ich mir sicher, daß ihm nichts geschehen wird; er ist verächtlich, nicht aber hassenswert. Diese Größe fehlt ihm, so sehr er sich aufpumpt. Schon deshalb taugen alle Vergleiche mit Bismarck nicht. Über das schwefelgelb kostümierte Genie – der Kragen der Halberstädter Kürassiere war von dieser Farbe -konnten wir seinerzeit lästern: Unser Riese hat was Kleines im Gemüt. Doch der heute regierenden Masse, deren Genie vor allem auf Lügen fußt, will ich Gemütsgröße nicht absprechen, vielmehr ist diese so reich an Menge, daß sie sich landesweit oder
- wie es im Lied heißt – von der Etsch bis an den Belt
gleich Mehltau ablagert. Alles, was sich deutsch nennt, wird vom Mittelmaß beherrscht, dessen sattesten Ausdruck ›er‹ zur Schau trägt. Das schützt ihn. Glaub nur, Kind, ihm wird keiner was antun. Seinesgleichen war nie zu treffen, was schrecklich genug ist. Ach, wenn man bedenkt, wer alles dem Haß zum Ziel wurde. Attentate waren schon immer die Regel. Auf den Kaiser wurde geschossen, mehrmals sogar. Zuerst zielte der Klempner Hödel, dann ein gewisser Dr. Nobiling, zwei dürftige Figuren nur; sobald ich aber unsere preußischen Sensationen beiseite lasse und einen Blick in Deine Richtung, nach Frankreich werfe, fasziniert mich sogleich ein Racheengel von bildnishaftem Format. Ich sehe Charlotte Corday. Ich sehe den Dolch und Marat in der Badewanne. Jetzt stößt sie zu. Welche Leidenschaft, welche Größe, welch ebenbürtiger Haß! Vielleicht, nein, sicher lehnst Du meinen Vergleich ab und sagst, man könne die deutschen Kümmernisse, all das, was wir unserer Einheitssuppe eingebrockt haben, nicht mit La Terreur, der Guillotine und der Tugendherrschaft des Wohlfahrtsausschusses auf ein Maß bringen; ich finde, man kann doch. Millionen Arbeiter und Angestellte sind einem Enthauptungsprozeß unterworfen, dem zufolge zwar nicht der einzelne um einen Kopf kürzer gemacht wird, doch kappt das Fallbeil seinen Erwerb, seinen bis gestern noch sicheren Arbeitsplatz, ohne den er, jedenfalls
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