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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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hierzulande, wie kopflos ist. Um bei den Suffragetten unserer Tage nicht in Verruf zu geraten: Wenn ich Arbeiter sage, meine ich die Arbeiterinnen auch. Kenne mittlerweile den Zwang, wortungeheuerlich beide Geschlechter zugleich auf der Zunge balancieren zu müssen. Und weil es die berufstätigen Frauen oft am härtesten trifft, ja, zuallererst an ihnen übel gehandelt wird, bin ich mir ziemlich sicher, daß eine alleinerziehende Mutter oder ein junges Weib, das gestern noch am Fließband, vor einer Fischentgrätungsmaschine oder in einem Glühlampenwerk ihren Platz hatte, nunmehr als neuerliche Charlotte Corday zwar nicht zum Dolch gegriffen, doch Kimme und Korn in Richtung gebracht hat; nur Frauen sind so zielgerecht konsequent. Du wirst nun prompt Dein zartbittres Gesicht machen oder altklug das Köpfchen schütteln, weil ich oller Griesgram so toll vom Leder ziehe, mir eine historische Mörderin ausleihe, diese nach heutiger Mode ausstaffiere und überdies den schwarzseherischen Blick habe; dabei bin ich das Gegenteil von einem Schwarzseher, ich sehe nur. Außerdem kann, was die Evastöchter angeht, getrost behauptet werden: Uns sind ein Dutzend Weibsbilder von starkem Willen gelungen. Dafür mögen Melanie van der Straaten, Corinna Schmidt und ihr Widerpart Jenny Treibel, im gewissen Sinn sogar Lene Nimptsch und ganz gewiß Mathilde Möhring bürgen, deren Tatkraft nicht von Pappe war. Auch sind die schwachen und vom Verstand her wenig gerüsteten Weiber, sei es die arme Effi oder die kränkelnde Cécile, von aufrechter Statur, sogar dann noch, wenn ihnen arg mitgespielt wird. Selbst in Stine, so blaß sie mißlungen sein mag – oder eher in ihrer Blässe gelungen ist –, steckt viel leise behaupteter Stolz. Und deshalb bin ich sicher, daß eine Frau tätig geworden ist. Nein, nicht die Witwe Pittelkow, die redet nur so radikal, weil sie den Berliner Sprechanismus hat, aber Frau von Carayon hätte zweifelsohne, weil tief verletzt, zur Waffe greifen können, desgleichen Grete Minde, aus schmerzgeborenem Wahn. Und gewiß wäre dieser Ausbund von Nüchternheit, das Gemmengesicht Mathilde Möhring, fähig, eine Hinrichtung zu vollziehen, gut geplant, dann aber ohne lange zu fackeln. Womit wir wieder bei Deiner Landsmännin, beim Dolch und bei Marat angelangt wären. Habe übrigens vor vielen Jahren zwar nicht die Berliner Uraufführung, doch in Rostock die Pertensche Inszenierung gesehen. War ideologisch verrutscht, was das Verhältnis zwischen de Sade und Marat betrifft, aber glänzend in der Badewannenszene: Sehe noch immer, wie die Rächerin langsam das Küchenmesser senkt … Und ich Dummkopf habe den Treuhandchef, als er mich wiederholt in meiner Klause im siebten Stock beehrt und auf meinem Sofa gesessen hat, vor männlichen Tätern zu warnen versucht. Indem ich anarchisches Recht mit ordnungsstaatlichem Recht konfrontierte, setzte ich den ewigen Wilderer aus der verunglückten Erzählung ›Quitt‹ auf den ewigen Förster an. Immer wieder habe ich ihm die Begegnung auf dem Weg zur Hampelbaude vorgespielt: ›Dem einen versagte das Zündhütchen, doch nun schlug Lehnert an und zwei Schüsse krachten …‹ Ein Mord reinsten Wassers, gewiß! Aber diesmal ist es kein Wilddieb gewesen, der Rache am Förster nahm, auch war es nicht der Normandie entschlossene Tochter, die, wie immer sie heißen mag, gewiß nicht aus Wahn handelte, vielmehr hat die unscheinbarste aller zur Tat drängenden Frauen, eine Person, die bei Mathilde Möhring in die Schule gegangen ist, ihr Ziel gesucht und gefunden. Ach, Kind, nichts Neues geschieht! Dabei hätte unser Gespräch weiterführen, uns viele Nächte verkürzen können. Als mich der Chef zum letzten Mal in meiner Klause besuchte, das war in der Nacht zum Gründonnerstag, der dem 1. April vorausging, plauderten wir über Bismarcks bevorstehenden Geburtstag und machten uns über den zu meiner Zeit üblichen Rummel im Sachsenwald lustig. Dann ging es um Preußens Gloria und Niedergang, den Kulturkampf, die Sozialistenhatz, den Antisemitismus, aber auch um das Bedenkliche am Kommunismus wie am Christentum, die beständig Dinge fordern, die keiner leisten kann. Schließlich kamen wir, wobei die Geschichte des Treuhandgebäudes nicht ausgespart werden konnte, auf die bösen zwölf Jahre und damit auf die der sogenannten ›Roten Kapelle‹ zugezählte Widerstandsgruppe im Reichsluftfahrtministerium und also auf meinen kleinen, eher unwissentlich geleisteten Anteil, der mir als

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