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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Storm strikt gegen diese »neuerliche borussische Anmaßung«, während sich Fonty zwar nicht für Berlin, aber vehement gegen Bonn aussprach: »Dann lieber Husum, wenn’s recht ist!« Sofort brach der alte Streit aus den schlimmen fünfziger Jahren auf. Wir vom Archiv müssen zugeben, daß es der Unsterbliche gewesen ist, der mit Brief vom 11.
    April 1853 Storms mit »letztem Donnerschlag« zur Revolution aufrufendes Gedicht »Epilog« ziemlich beckmesserisch zensuriert und nicht in die Zeitschrift »Argo« aufgenommen hat, weil dieses Poem »für Geheime Regierungsräte, Schulräte und ähnliche Leute allzu klar ist …« Und weiter hieß es: »… Was nach der einigen, unteilbaren Republik schmeckt, könnte uns doch sehr verübelt werden.« Jedenfalls war den beiden nicht zu helfen. Sah Storm von Berlin aus einen neuen Beamten-, das hieß für ihn Obrigkeitsstaat wachsen, fürchtete sich Fonty vor muffigem Provinzialismus: »Nichts schrecklicher als eine gesamtdeutsche Husumerei! Außerdem fallen die Deutschen, wenn sich irgendwas auftut, ohnehin wieder in zwei Teile …« Sie gifteten wechselseitig, waren gleichgestimmt überempfindlich und kramten alte Geschichten aus Tunnelzeiten hervor. Mal war der eine, dann der andere beleidigt. Zwar hat das Alter die beiden angenähert – Storm starb leider schon 88 –, doch auf der Tiergartenbank hätten selbst wir vom Archiv keinen Frieden stiften können: Immer wieder kamen verjährte Ärgernisse hoch; und als Storm mit hoher, ein wenig fistelnder Stimme dem armen Fonty die Kreuzzeitung, alle drei Kriegsbücher und die Zensorentätigkeit unter Merckelscher Fuchtel um die Ohren schlug und ihn einen »zwar schlecht bezahlten, aber treu ergebenen Staatsschreiber« schimpfte, schwieg er und kroch in sich hinein, umgeben vom auftrumpfenden Frühling. Fonty war jämmerlich anzusehen, wie vor oder nach einer Nervenpleite und in einem Zustand, den er »abattu« nannte. Niemand konnte ihm die Last seiner angesammelten Sorgen wegplaudern, weder Stephany noch der immer freundliche Schlenther, die er sich zuallerletzt auf die Tiergartenbank zitierte. Auf beide war Verlaß. Und wie dazumal in der Vossischen Zeitung lobten sie auch jetzt den Briest-Roman. Fonty nahm das wie druckfrische Rezensionen hin, doch wollte er von seinem Kummer nicht lassen. Er dankte den Freunden, sagte, »natürlich hätten die Crampas-Briefe verbrannt gehört«, entschuldigte sich für das dürftig motivierte Versteck, »doch so banal geht es im Leben zu«, und redete sich in wehmütige Stimmung: »So nehme ich denn Abschied von Effi; es kommt nicht wieder, das letzte Aufflackern …« Nun abermals allein, beschloß er, mit Blick auf die Rousseau-Insel, auf Dauer zu verstummen. Um so lauter die Vögel. Prahlende Natur. Grün, daß einem das Sehen verging. Nur fern der verkehrsdichte Lärm der Stadt. Wäre Freundlich mit seinen Sorgen zur Stelle gewesen, hätte er dessen Mutter zitiert, die selbst in Mexiko nicht aufhören wollte, »Alles neu macht der Mai …« zu trällern.
    Erst dem Haubentaucher, der zwischen Enten seine Kunststücke wiederholte und wie immer für Überraschungen gut war, gelang es, Fonty von sich abzulenken. Nicht, daß ihm dieser einfallsreichste aller Wasservögel beim Auftauchen das fehlende Wort geliefert hätte, aber für Ideen – und sei es für eine einzige – bürgte der Haubentaucher mit immer gültigem Patent.
    An einem der ersten Junitage stieg im Paternoster Hoftaller zu und erzählte geheimniskrämerisch von Abstechern in den Westen. Er deutete »neue Perspektiven« und »wiederbelebte Kontakte« an, bewertete die Dienste als »nunmehr gesamtdeutsch«, bestellte Grüße vom Sohn und Ministerialrat Teddy, der sich »beim Herrn Papa für hilfreiches Entgegenkommen« bedankt habe, hatte aber noch mehr auf der Pfanne und glaubte, er könne Fonty, der zum siebten Stock hochwollte, mit der Nachricht von der Kündigung der Raumpflegerin Helma Frühauf verblüffen: »Aber was heißt gekündigt! Einen Zettel hat sie hinterlassen: ›Komm nicht mehr!‹ Ist einfach weg und verschwunden, Ihre Putzund Blumenfrau. Jetzt müssen Sie Ihre Pflänzchen selber gießen. Schenk Ihnen demnächst ne Gärtnerschürze.« Fonty versicherte, ihn überrasche das nicht. Und Hoftaller, der mit ihm ausstieg, bot an, den »herben Verlust« durch häufige Besuche wettzumachen: »Auf mich ist Verlaß. Und sollte mir jemals nach Klimawechsel sein, Sie wissen ja: Unsereins kommt wieder und

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