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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Treuhandgebäude, Abschied genommen hätte, geschweige von seinem Tagundnachtschatten; nur die ums Archiv bemühten Fußnotensklaven waren ihm wichtig. Als er mit Pfingstrosen eintrat, sahen wir, daß Fonty uns reisefertig aufsuchte. Sommerlich gekleidet, dabei heiter und wie von Lasten befreit, spielte er die Plaudertasche und wußte das Neueste von dazumal: Ironisches über Wallots feierlich eingeweihten Reichstagsbau, die Ersatzwahl im Kreis Rheinsberg-Wutz, aus der bekanntlich jemand mit Ballonmütze, der Feilenhauer Torgelow, als Sieger hervorgegangen war; doch kein Wort über den Tod seines Brieffreundes und dessen Beerdigung in Jena, an der er – offenbar ohne Begleitung – teilgenommen hatte.
    Allenfalls sprach er sich indirekt aus: »Ist was los in der Stadt. Bringen sich gegenseitig auf Null. Habe deshalb an Morris geschrieben: ›Wir haben jetzt lauter Duellgeschichten … Wir nahmen das nicht als Wink in Richtung Reiseziel, auch wenn er wiederholt Berlin mit London verglich, aber auffallend war, wie leicht er den Treuhandmitarbeiter, überhaupt die Person Theo Wuttke ablegte und das Gespräch mit Zitaten fütterte, mehr noch, wie mühelos es Fonty gelang, ganz ohne Zwinkern der Unsterbliche zu sein. Während der letzten Wochen war ihm ein Alterssprung gelungen. Er hatte etliche Jahre zugelegt und trat als Jener fragile Greis auf, den uns der Zeichner Liebermann überliefert hat: ganz wachen Auges, aber – bei wäßrigem Blick – ein wenig jenseitig schon. Es war, als wollte er den klischeehaften Begriff vom »heiteren Darüberstehn« zumindest versuchsweise erproben. Diesmal stellte sich nicht, wie beim letzten Abtauchen, die Frage: Wohin geht die Reise? Frankreich oder England war kein Thema mehr. Nur spaßeshalber spekulierten wir auf eine Ansichtspostkarte vom Empire State Building, denn er zitierte immer wieder aus »Quitt« und belebte dabei den Wilden Westen im Breitwandformat: »Dort die Mennonitensiedlung, benachbart den Indlan territories, ach, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten …« Dann brachte eine unserer Kolleginnen das Gespräch auf die Gründungsveranstaltung der dem Archiv zugedachten Fördergesellschaft, die bereits im Dezember stattgefunden hatte. Leider haben wir damals versäumt, Fonty einzuladen; oder wurde er – mit Rücksicht auf westliche Gäste – von der Liste gestrichen? Zu unserer Verwunderung war er dennoch auf dem laufenden, sprach wie ein Augenzeuge und bediente uns mit Zitaten aus dem originellen Festvortrag der bei Petersen promovierten, aber später nach England emigrierten Germanistin Charlotte Jolles, die -inzwischen hochbetagt – versucht hatte, uns Stubengelehrten angelsächsischen Geschäftssinn beizubringen: »Überall benötigt die nun gegründete Fördergesellschaft ihre trading posts, ihre Handelsgesellschaften, wie früher das Britische Empire mit Hilfe solcher trading posts …« Fonty persiflierte den engagierten Aufruf der alten Dame -»So ist meine Losung: Investieren wir in den Unsterblichen!« Leider mußten wir einräumen, daß dieser Appell bisher so gut wie folgenlos geblieben war. »Aber sowas kennen Sie ja. Bei der Treuhand läuft es nicht anders. Niemand will investieren, und in Kultur schon gar nicht. Alles soll umsonst über den Tisch kommen oder schäbig für eine symbolische Mark. Dabei hat sich Frau Professor Jolles solche Mühe gegeben.« Fonty blieb wie in eigener Sache beteiligt und wiederholte weitere Passagen des Festvortrags: »Die zukünftige Gesellschaft, meine Damen und Herren, braucht Geld, Geld, Geld!« Sie, die zum Vergnügen der Zuhörer im Romanpersonal des Unsterblichen nach einem ökonomisch beschlagenen Schutzpatron gesucht hatte, fand Fontys Unterstützung, während wir uns darauf beschränkt hatten, ihre Vorschläge distanziert lächelnd oder mit jener Arroganz hinzunehmen, die damals den Ossis allgemein nachgesagt wurde. Wie Charlotte Jolles begann er mit dem Fabrikanten von Blaulaugensalz und Berliner Blau: »Wie wäre es mit Kommerzienrat Treibel!« Dann wurde als guter Administrator Innstetten vorgeschlagen und mit kaum widerlegbarem Argument verworfen: »Die weiblichen Mitglieder würden ihn völlig ablehnen, denn wir wissen es von Effi – ›Er war ohne rechte Liebe‹ …« Nach dem alten Briest schieden, außer Effi, die Titelpersonen Cécile und Stine aus, desgleichen die vom alten Stechlin hochgeschätzte Melusine, die beiden jüngeren Poggenpuhltöchter und die zwar selbständige, aber zu junge Lene

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