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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Schule. Aber auch die italienischen Meister, denken Sie bitte an Fra Angelico oder die Frauen bei Giotto, diese besondere Linie …« Als Helma Frühauf ihm ihr Profil bot. sagte sie wie zum Abschied: »Und verjessen Sie ja nich, Herr Wuttke, daß sone Pflanze wächst und jenügend Platz braucht, wenn nich heut, dann vleicht morjen. Irgendwann muß och die Palme umjetopft werden. Nich verjessen: Umtopfen is wichtig!« Da die Putzfrau nie Fonty zu ihm gesagt hat, mußte sie sich keine Hinweise auf die Dörrsche Gärtnerei aus »Irrungen, Wirrungen« anhören, wo das Umtopfen von Zeit zu Zeit Praxis war. Diesen Tip hätten eigentlich wir vom Archiv geben müssen, denn dem vorstädtischen Gartengrundstück mit Blick über die Felder auf Wilmersdorf fehlte zwar, »… die Spargelanlage abgerechnet, alles Feine. Dörr hielt das Gewöhnliche zugleich für das Vorteilhafte, zog deshalb Majoran und andere Wurstkräuter, besonders aber Porree …«, doch irgendwas, zum Beispiel Goldlack und Geranium, mußte bestimmt für den Wochenmarkt ein- oder umgetopft werden.
Als Hoftaller gegangen war, brachte der freie Mitarbeiter Theo Wuttke die Liste der Ersatzwörter in Reinschrift und schloß diese mit der unterstrichenen Eintragung: »Schlage anstelle von abwickeln das Wort umtopfen vor. Raus aus dem volkseigenen, rein in den privaten Topf.« Dann, nach einer Pause, in der er die Hand mit der Feder leicht übers Papier hob, setzte er in Klammern hinzu: »Bin übrigens der festen Meinung, daß es bei ›abwickeln‹ bleiben muß; hat sich eingebürgert, ist sprichwörtlich geworden.« Unter die Liste setzte er seinen amtlich anerkannten Namenszug. Mit dem gefalteten Bogen steckte er die Vorschläge zur Wiederbelebung der Neuruppiner Bilderbögen durch kolorierte Treuhandgeschichten in ein Kuvert und gab dieses bei der Abteilung »Öffentlichkeit und Kommunikation« ab.
Fonty fühlte sich erleichtert. Er konnte glauben, eine Krise überwunden zu haben, und im Wortlaut einer seiner Lieblingssentenzen behaupten: »Innerhalb dieser Welt der Mängel lebt es sich gar nicht so schlecht.«
    In der Kollwitzstraße fand er weder Emmi noch die Nachbarin Scherwinski, doch lag auf dem Küchentisch ein geöffnetes Telegramm. Er las: »Muß Sie zum Abschluß zitieren: Schweigt das Leben, so schweigt der Wunsch. Ihr Eckhard Freundlich.«
    Erst zwei Tage später bestätigte die Frau des Professors dessen Tod aus freiem Willen. Sie schrieb: »Er wollte nicht mehr. Mich hat er gebeten, den Töchtern nach Israel zu folgen. Und weil ich seiner in letzter Zeit wiederholten Feststellung ›für Juden ist hier kein Platz‹, leider zustimmen muß, werde ich wohl seiner Bitte folgen …«
    Als der freie Mitarbeiter der Treuhandanstalt Theo Wuttke, mehr um die Topfpflanzen zu gießen als um arbeitslos einige Stunden abzusitzen, tags drauf sein Dienstzimmer aufsuchte, fand er auf dem Schreibtisch eine weitere Nachricht. Über die Nützlichkeit der Ersatzwörter stand kein Wort geschrieben und gleichfalls nichts über die Bilderbögen aus aktuellem Anlaß, aber kurz und bündig wurde ihm mitgeteilt, daß der Dienstraum 1819 in spätestens einer Woche besenrein geräumt sein müsse. Der Vertrag laufe weiter. Der freie Mitarbeiter Wuttke sei für den Außendienst vorgesehen. Genauere Anweisung folge demnächst.
    Fonty ging auf und ab. Er hätte sich sagen können: »Nicht nur für Juden ist hier kein Platz«, aber er sagte: »Na gut, woanders ist auch Welt!« Dann goß er die Topfpflanzen, als wäre nichts geschehen.

FÜNFTES BUCH
33 Falscher Alarm
    Nach so viel Verlust nahm er sich Zeit für Abschied. Bestimmte Stadtteile, wie Friedrichshain, Pankow und Kreuzberg, den Bezirk Mitte, Bahnhöfe, seinen angestammten Zeitungskiosk am Alex, den Gendarmenmarkt und das einstige Scheunenviertel, aber auch die U-Bahnline 6 und die S-Bahn in Richtung Wannsee und Erkner, dann wieder alteingesessene Tiergartenbänke, zum letzten Mal die Grunewaldvilla am Hasensprung, all diese Quartiere, Treffpunkte und Strecken lief er ab, suchte er auf, fuhr er hin und zurück; und natürlich ging’s die Potsdamer hoch, weiter über die Hauptstraße, Rheinstraße bis nach Friedenau, mit Abstecher in die Niedstraße; und immer wieder stand er auf dem zugigen Alexanderplatz oder vorm Sockel der Siegessäule, aber keines der vielen Theater, nicht einmal die Volksbühne war einen Blick wert, kein Museumsbesuch, nicht, daß er von Personen, etwa von einigen Vorzimmerdamen im

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