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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Kinn.
    Fonty sah diese Steigerung ihres Profils als Entdeckung und zugleich wie eine bestätigte Vermutung. Von der mittlerweile vollbesetzten Etagere aus -kürzlich waren ein Osterkaktus und eine Aloe dazugekommen – sagte er: »So jedenfalls kann es nicht weitergehn. Machen alles platt. Irgend jemand muß Schluß! rufen, Aufhören! Sonst fällt wieder ein Schuß wie vor wenigen Wochen. Danach war das Erschrecken groß …«
    »Aber nich lange, Herr Wuttke. Was denn kam, die neue Chefin vons Janze, die hat noch nen Zahn draufjelegt. Sieht man doch: Die zuckt mit de Wimper nich. Hat die nich, kennt die nich: Angst. Aber was ich noch sagen wollt: Nach dem Wochenend, als das passiert war, hab ich dienstags janz früh, als ich hier durchjewischt hab, dem Chef seine Rollschuh bei Ihnen unterm Sofa jefunden. Hab die einfach mitjehn lassen. Die sind weg nu. Hab mir jedacht: Sicher ist sicher.«
    Uns hat er von dieser Vorsichtsmaßnahme eher belustigt erzählt: »Mit Rollschuhen läßt sich nichts beweisen«, doch belastende Schlüsse zog er aus dem Gerede der Putzfrau, sie habe an jenem tragischen Osterwochenende ihre Schwester in Duisburg besucht, sei also in Tatortnähe gewesen, was sie mit der zusätzlichen Information »Kam dienstags janz früh zurück und bin vom Bahnhof weg jleich auf Arbeit« bestätigt habe. Dann bat er uns um Stillschweigen und fügte hinzu: »Hier breche ich besser ab, sonst setzen mich weitere Worte dem Verdacht der Mordbuben- und Mithelferschaft aus. Doch wäre immerhin zu erwägen, ob das Ende des Treuhandchefs nicht Anstoß für eine populär wirksame Bildergeschichte sein könnte. Man müßte mit Kindheit und Jugend beginnen, sodann die steile Karriere bebildern, ihn um achtundsechzig leicht radikalisiert, schon bald darauf als sozialliberalen Staatssekretär, sodann als entschlossenen Sanierer zeigen, danach die Anfänge der Treuhand am Alexanderplatz, in Folge den Umzug und mit ihm den Chef im Paternoster ins Bild bringen, schließlich seinen Zweifeln Ausdruck geben und mit dem Mord in jede Richtung ein warnendes Zeichen setzen. Ich erinnere an den Kühnschen Bilderbogen, der die Geschichte des großen Friedrich von den Jünglingsjahren, das heißt von der Enthauptung Kattes an, über alle Schlachten hinweg bis ins gichtkrumme Greisenalter erzählt. Besser noch der von Oehmigke & Riemschneider massenhaft verbreitete Bogen, auf dem sich des Attentäters Dr. Nobiling schiefe Existenz bis zum Schuß auf den Kaiser mit dem prompten Selbstmord abbildet. Jadoch! Das muß gezeigt werden. Die Ermordung des Treuhandchefs ist eine typische Bilderbogengeschichte: tragisch und lehrreich zugleich. Was soll ich noch weiter nach einem Wort stochern und Leuten aus der Klemme helfen, denen außer ›abwickeln‹ partout nichts einfallen will.« Aber Fonty hörte nicht auf zu suchen. Hinter Helma Frühaufs »verschlanken« setzte er »abspecken«. Den Einfall »liquidieren« strich er sogleich, wenn auch in diesem Ersatzwort, wie er uns versicherte, »wie bei ›Effi Briest‹ viele hübsche e und i, mithin die feinsten Vokale« zu finden seien. Er suchte und suchte, doch was immer auf seinen Zettel kam, »abwickeln« blieb das treffende Wort. Nun war er um Rat verlegen und schrieb Briefe nicht nur an seine Tochter, sondern auch an Professor Freundlich, schließlich an seine Enkeltochter, die als erste antwortete, doch nur nichtsnutze Wörter aus dem Küchenbereich wie »entgräten« und »filetieren« reihte. Außerdem schrieb sie: »Ich fürchte, Großpapa, daß Sie sich zu etwas herablassen, das weit unterhalb Ihrer Fähigkeiten liegt. Ach, könnte ich Ihnen doch den Blick für eine Landschaft öffnen, in der vom satten Grün bis zum lichten Blau Berg hinter Berg liegt …«
    Bei Freundlich fiel die Antwort bitter aus: »Bin dafür, daß es beim Abwickeln bleibt. Das sagt Ihnen jemand, dessen Garn bereits von der Spule ist. Übrigens greife ich neuerdings, wie Sie es seit Jahren tun, auf Zitate zurück: Stehe auf dem Punkte, mich demnächst dünne zu machen …« Martha Grundmann ging auf ihres Vaters Bitte um Formulierungshilfe nur indirekt ein; ihre Ehe mit dem spekulierenden Bauunternehmer war ihr das Wort Scheidung wert. Sie schrieb: »Zwar verbietet mir mein Glaubenswechsel solch eine radikale Trennung, doch was nicht zusammenhält, muß geschieden werden …« Als aber Fonty aus einem solchen in der Regel vor Gericht verschleppten Prozeß einschlägige Wörter ableitete, bemerkte er rechtzeitig,

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