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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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daß durch den Nebensinn aller auf Teilung zielenden Verben die jüngst vollzogene Einheit der Nation fraglich werden könnte. Keiner der Briefe half. Es blieb beim Abwickeln. Er gab den Schreibtisch auf und goß seine Blumen und Ranken, zuletzt die Zimmerpalme; doch selbst den Topfpflanzen war kein dienliches Wort abzugewinnen.
    Also suchte er im Freien, das Wetter war danach: überall Mai. Weil nur halbtags an sein Dienstzimmer gebunden, blieb ihm Zeit genug für ausgedehnte Spaziergänge durch den Tiergarten und den längst fälligen Besuch des Friedhofs an der Pflugstraße, aber auch für ziellose SBahn- und U-Bahnfahrten kreuz und quer durch Berlin. Ärgerlich war ihm, daß die Linie U2 noch immer nicht beide Stadthälften miteinander verband; so blieb ihm für seine Irrfahrten durch die Stadt nur die S-Bahn mit ihrem alles benennenden Tageslicht; doch eigentlich war er zutiefst auf Untergrund und Abtauchen gestimmt, die Welt, so schien es, hatte ihm nichts mehr zu sagen. Uns blieb nicht verborgen, daß sich Fonty seit dem Tod des Treuhandchefs in einem Zustand befand, der zwischen lähmender Verzweiflung und verzweifelter Unrast schwankte. Ob angesichts von Geranien und Fleißigen Lieschen oder als S-Bahnreisender zwischen Erkner und Wannsee, überall begleitete ihn die vergebliche Suche nach dem besseren Wort und führte ihn in die Enge seiner eigenen unverbesserlichen Lage. So gewohnt ihm Hoftaller war, neuerdings stanken ihm dessen Zigarren, selbst wenn sich der Raucher enthielt. Emmis zwar gemilderte, aber immer noch unmäßig vom Farbfernseher gefütterte Bildersucht vertrieb ihn aus der Wohnung in der Kollwitzstraße. Alles, sogar seine Studierstube stieß ihn ab. Zudem sorgte er sich um Martha, deren Briefe nur noch ehelichen Verdruß meldeten; und Freundlichs sarkastisch verkleidete Bitterkeit ängstigte ihn in dergestalt gesteigertem Ausmaß, daß er sogar uns gegenüber das Schlimmste befürchtete: »Er hat einen Knacks weg. Kenne das. Er wird uns noch durchdrehen am Ende.« Manchmal kam von der Enkeltochter heiterer Zuspruch, doch Madeleine war weit weg. So blieb ihm nur noch das Gemmengesicht, dem aber – außer feinlinig umrandeter Blässe -nichts abzulesen war. Zwar antwortete Helma Frühauf ungehemmt flüssig, doch erfuhr Fonty nichts, was seinen literarisch schlüssigen Verdacht hätte bestätigen können. Daß der arbeitslose Ehemann, angetrieben von seiner Frau, Fortschritte beim Computerlehrgang machte und auch sonst lernwillig zu sein schien, konnte ihn nicht überraschen; und nach dem Verbleib der Rollschuhe oder dem Wochenende in Duisburg wagte er nicht zu fragen. Für ihn war der Fall abgeschlossen, das Gemmengesicht nunmehr ein blindes Motiv. Sogar die Blumentöpfe auf der sechsstufigen Etagere rochen ihm zu intensiv. Und als Frau Frühauf nach kurzem Anklopfen – »Nur auf ein Stäbchen« mit einem Topf blühender Myrte kam, gab er der Raumpflegerin zu verstehen, daß zuviel zuviel sei: »Verehrteste, Sie sind mir auch ohne weitere Zimmerpflanzen willkommen.«
    Eigentlich muß er sich gefreut haben, als er das Doppelgrab auf dem Friedhof der französischen Domgemeinde gepflegt und den Rosenstock voller Knospen fand. Der Immortellenkranz, den Madeleine im Frühherbst des letzten Jahres vor den Grabstein gelegt hatte, war gut über den Winter gekommen. Und kaum sah er diese besonderen Strohblumen, da wurde ihm schon der Wunsch der alten Frau Nimptsch, die gerne ins offene Feuer starrte, nahegerückt, denn immerhin war es auf literarischem Weg gelungen, Botho von Rienäcker, der ja sonst nicht viel taugte, durch leise Anmahnung zu bewegen, der Alten nach langer Kutschfahrt einen Kranz Immortellen ans Grab zu bringen. Aber sobald wir diesen früher beliebten Brauch als Leitmotiv in »Irrungen, Wirrungen« erwähnten oder als Anspielung auf seine Existenz verstanden wissen wollten, wurden unsere Versuche, ihn aufzumuntern, als zweifelhaft abgetan: »Alles Operieren mit Unendlichkeit und Unsterblichkeit ist mir zuwider.«
    Da stand er nun vorm Doppelgrab, sah den überlebenden Immortellenkranz und suchte nach dem Wort. Nichts schien greifbar. Selbst der Ort der Vergänglichkeit geizte mit Vorschlägen. Weil einige Grabreihen entfernt Friedhofsarbeiter mit Schaufeln zugange waren, bot sich der Fachausdruck »Umbettung« an. Aber sogleich bezweifelte er, ob man besser umbetten als abwickeln sagen könne, wenn es demnächst darum ginge, weitere einst volkseigene Betriebe in Eisenhüttenstadt

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