Ein weites Feld
Schleierhut, die andere mit Häubchen, plaudern gemeinsam, als gäbe es keinen Standesunterschied, über jüngste Berliner Affären. Sogar Stine hat sich von der Witwe Pittelkow überreden lassen, unter Leute zu gehen: Sie trägt ihr getüpfeltes Perlhuhnkleid und hofft, den jungen Grafen Waldemar davon abbringen zu können, den Schlußpunkt ihrer ohnehin schwindsüchtigen Geschichte unbedingt mit einer Pistole setzen zu wollen. Und da kommt er auch schon, leider mit Loch im Kopf. Und glauben Sie mir, verehrte Zuhörer, keiner der Pastoren fehlt: Lorenzen, Niemeyer, Schwarzkoppen, sogar der Däne Schleppegrell ist im Predigerrock gekommen. An Pädagogen herrscht kein Mangel: kaum verwunderlich, daß Professor Schmidt dem Ruf seiner Jugendfreundin gefolgt ist, aber daß sich Krippenstapel hat überwinden können … Ach, aus den ›Kinderjahren‹ der Hauslehrer Lau … Und wer noch alles hat sich so stilvoll, von den Schnürschuhen und Stiefeletten bis zur schlicht gescheitelten oder hochgetürmten Frisur, dem Romanpersonal angepaßt? Wer traut sich zu, als Briest Figur zu machen? Wer, in einer Nebenrolle, als Dienstmädchen Friederike aufzutreten, die seit Jahrzehnten auf dem Poggenpuhlschen Hängeboden haust? Wer trägt die Paradeuniform vom Regiment Gendarmes? Wer gefällt sich als Pastorentochter oder Spreewälder Amme? Wer will Kutscher oder nur Hausmeister sein? Es sind die Abteilungsleiter und Sekretärinnen der Treuhandanstalt, die Sachbearbeiter und Vorzimmerdamen, aber auch, was nach Geld riecht oder den Riecher fürs Geld hat, potente Investoren und Großaufkäufer, die sich nach literarischen Vorlagen verkleidet haben. Nun ja, als von Vitzewitz, das mag angehen; aber man fragt: Wer war so mutig, sich als Schach von Wuthenow, gleich einer Karikatur, der Lächerlichkeit preiszugeben? Wer war so kühn, sich als Melanies bankrotter Liebhaber aufzuspielen? Wer steckt hinter der so oft berufenen Luise, wer hinterm Grafen Petöfy, welche drei Grazien sind die Poggenpuhltöchter?
Und dort, aus welcher Chefetage kommen die beiden adrett gekleideten Herren, die sich als von Crampas und von Innstetten begrüßen? Wieviel Finanzkraft steckt hinter jenem immerfort Kurreisen verschreibenden Hausarzt? Doch unverkennbar: Frau Jenny Treibel, das ist die Chefin der Treuhand. Nur sie versteht es, Geschäft und Poesie miteinander zu verknüpfen. Nur sie konnte zur tausendsten Abwicklung diese gesellschaftsfähige Idee beisteuern. Und – passen Sie auf! – gleich wird Corinna antanzen und eine kesse Lippe riskieren …« Das riß die Zuhörer mit. In nicht abreißender Reihe wurde dem Publikum ein Figurenreigen geboten. Rufe mehrten sich: »Und wo bleibt Alonzo Gieshübler vom Apothekeradel?« – »Wie schade, Hoppenmarieken fehlt!« -»Und wenn schon Czako, dann muß auch die Schmargendorf her!« – »Ja, ist denn Frau Kruse, die mit dem schwarzen Huhn, nicht eingeladen worden?« – Und jemand stellte eine typische Archivfrage: »Hat etwa die schöne Brigitte ihren dänischen Sicherheitsassessor mitgebracht?« Fonty nahm alle Fragen auf und verfügte, nahezu unbegrenzt, über sein Personal. Auf Abruf: Wo Schach war, mußte Bülow sein, zur Tochter gehörte die Kapitänswitwe Hansen, und Frau Dörr stritt mit dem schrumpligen Gärtner Dörr. Die Trippelli sang den Heideknaben. Alle redeten Text, und bei all dem Gerede kam der General von Bamme nicht dazu, das Signal zum Sturm auf die Oderbrücke blasen zu lassen. Sogar den toten Chinesen ließ Fonty auftreten, um Effi, die sogleich mitspielte, ein wenig zu erschrecken. Nur als jemand aus dem Publikum nach Cécile rief, antwortete er: »Hat absagen müssen. Leidet unter Migräne. Doch ihre Herren sind quicklebendig, wenngleich mit geladenen Pistolen dabei. Und weitere Projektemacher und berufsmäßige Bankrotteure haben dem Ruf der Treuhandchefin Folge geleistet. Wo Witterung schnelles Geld verspricht, finden sich flugs die Herren vom monetären Adel ein. Aber auch arme Schlucker gieren nach Glück. Sehen Sie nur, da kommt Hugo Großmann mit Vollbart als Bürgermeister, der Investoren sucht. Und bestimmt, nein, sicher mischt irgendwo Mathilde Möhring mit. Da ist sie und nähert sich Frau Jenny Treibel, um ihr mit unschuldigstem Gemmengesicht die tausendeinste Abwicklung vorzuschlagen: ein ganz besonderes Schnäppchen. Welch ein Gedränge! Ordensbrüste, Schleppsäbel, Stehkragen. Geheim- und Kommerzienräte, hinter denen die Vorstände der Großbanken stecken, glänzen
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