Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
durch Anwesenheit, gleichfalls der Schwefelgelbe, erkennbar am Kragen der Halberstädter Kürassiere, der seinen Bleichröder mitgebracht hat, einen Krösus, den heutzutage die Dresdner Bank stützt. Kredithaie und Bankrotteure, Pumpgenies! Sie können sicher sein: Rubehn, gestern noch pleite, ist heute in Festlaune und obenauf …« Immer neue Auftritte, und doch vermißten wir vom Archiv die eine und andere Figur, wagten aber nicht, mit einem weiteren Zuruf etwa nach dem homöopathischen Veterinärarzt namens Lissauer aus »Unwiederbringlich« zu fragen. Madeleine beunruhigte uns. Sie saß wie auf dem Sprung und bereit, dem Spuk ein Ende zu machen. Als ich mich, weil neben ihr sitzend, besorgt zeigte, flüsterte sie: »Bien sûr. Großpapa hat gewiß noch etwas in der Hinterhand. Er spaßt nicht. Er meint es sehr ernst und wird das Fest, à outrance, auf die Spitze treiben. Ich fürchte, er wird bis zum Äußersten gehen …« Ihr Taschentuch war mittlerweile zerfetzt.
Vielleicht hätten wir eingreifen sollen. Oder wer anders aber dort, wo das Schild »Notausgang« leuchtete, saß kein Hoftaller mehr. Und wir griffen nicht ein, weil es, aus Fontys Sicht, im Treuhandgebäude vorerst noch fröhlich zuging. Jetzt brachte er den Paternoster ins Spiel. Das Publikum erlebte den Personenaufzug in amüsanter Besetzung. Er sperrte den alten Stechlin und dessen so strenge wie fromme Schwester Adelheid in eine Kabine. Dubslav brummelte stereotyp: »Alle Klosteruhren gehen nach«, und die Domina wiederholte: »Sage nichts Französisches, das verdrießt mich immer« oder schimpfte über ein zeitloses Problem: rote Socken. In der nächsten Kabine knöpfte sich die Witwe Pittelkow den alten Graf, diesen Lustmolch, vor: »Mein Stinchen ist kein Mädchen, das sich an einen hängt oder mit Gewalt einen rankratzt …« Dann sah man die Magd Roswitha vereint mit Frau Kruse, die das schwarze Huhn auf dem Arm trug. Gleich danach mußte sich Botho von Rienäcker immer wieder die schwatzhafte Käthe anhören: »Ist das nicht komisch, nein, ist das nicht komisch …« Hierauf redete eine der Poggenpuhltöchter auf Leo, den leichtsinnigen Bruder, ein, den es auf Abenteuersuche nach Afrika in die Kolonien zog. Und in enger Kabine rief Corinna der verkleideten Treuhandchefin zu: »Ridikül finde ich das! Denn wer sind die Treibels? Berlinerblaufabrikanten mit einem Ratstitel, und ich, ich bin eine Schmidt!« Miteinander verkuppelt, was zusammenpaßte oder sich biß: Rex hatte besser als Czako zu sein. So gepaart, verdammte Fonty sein Personal zu ewiger Aufundabfahrt. Und alle sagten ihr Sprüchlein her. Von Stockwerk zu Stockwerk rumpelte seufzend und quietschend – »Doch zuverlässig!« hieß es freiweg am Stehpult – der altgediente Paternoster durch Romane und Novellen und führte sogar, ein wenig makaber, den Wilderer Lehnert Menz und den Förster Opitz über die Wendepunkte. Zum wiederholten Mal kamen die als Vater und Sohn immerfort streitenden Geschäftsleute Baruch und Isidor Hirschfeld, nun endlich auch die Buschen und Hoppenmarieken ins Bild.
Und wen noch alles setzte er, von unten aufkommend, nach oben schwindend oder in absinkender Tendenz zur Ansicht frei? Zwei mannstolle Pfarrerstöchter, Kutscher als Doppelgespann, die Barbytöchter in schöner Gegensätzlichkeit, Hausärzte, ob ihrer Diagnosen zerstritten, endlich Briest und Luise, er mit bekannter Sentenz. Van der Straaten sagte leichthin und geschäftsmäßig: »Du willst fort, Melanie?« Und sie sagte: »Ja, Etzel.« Auf das große Wort »Entsage« folgte, ein wenig kleinlaut, des Grafen Petöfy an Franziska gerichtete Frage: »Kannst du’s?« Als dann Holk, extra von Holkenäs angereist, von oben kam, um neben der Baronin Christine von Arne nach unten zu schwinden, jammerte er: »Je mehr man mitnimmt, je mehr fehlt einem«; und sogleich gab sich ihr frommes Gemüt empört: »Wenn es nach dir ginge, müßten die Tröge für die Kühe so sauber wie Taufbecken sein.« Doch mit dem Auftritt dieser beiden Personen aus »Unwiederbringlich«, denen prompt in nächster Kabine Brigitte Hansen und Ebba von Rosenberg folgten, geriet Fontys Vortrag vollends ins Spekulative. Nachdem auffällig unauffällig der Polizeirat Reiff und ein namenlos mysteriöser dänischer Sicherheitsassessor auf Papier gereihte Erkenntnisse ausgetauscht hatten, ließ er, kaum war, ganz mutterseelenallein, Grete Minde zu Tal gefahren, das Treuhandfest ein Weilchen auf sich beruhen, kehrte zum Manuskript

Weitere Kostenlose Bücher