Ein weites Feld
auftauchen!« rief Martha. »Das hat bestimmt die Kleine gedeichselt. Die will ihn für sich haben, und zwar ganz. Den Typ kenn ich, geht im Prinzip über Leichen. Und Vater? Der hat einfach mitgemacht. Genau, sowas gefällt ihm; mal schnell die Kurve kratzen. ›Sich dünnemachen‹ heißt das bei ihm. Und die Kleine hat seinem Affen Zucker gegeben …«
»Also auf unsre Marlen laß ich nichts kommen. Die sorgt für ihn, bestimmt. Außerdem gehört die nu zur Familie, ob dir das paßt oder nich. Sei nich so hart, Martha. Sie is nu mal ganz anders als du, na, bißchen mehr spritzig …« Als die Tochter verstummte und dabei ein finsteres Gesicht aufsetzte, begann die Mutter die mit Wachstuch bezogene Küchentischplatte zu streicheln: »Ach Gottchen, mein Wuttke. Konnten ja manchmal richtig bißchen stolz auf ihn sein, wenn er als Aktivist wieder was angesteckt bekam, in Silber sogar. Und gab ja och paar glückliche Jahre hier, anfangs bestimmt. Nur zu eng war es, als noch die Jungs alle drei und in ein Zimmer gequetscht. Und als Martha, die ja noch klein war, bei uns lag. Ging nich auf Dauer. War richtig schlimm, so eng hatten wir es hier. Als aber die Jungs alle weg und nu Platz genug war, da war es wie leer. Und dann zog mein Wuttke och noch mit Bett in seine Stube um, daß ich auf einmal ganz allein lag, all die Jahre …« Emmi weinte ein wenig. Wir saßen unruhig auf den Küchenstühlen. Martha gab vor, »richtig sauer« zu sein, weil Madeleine ihr Jungmädchenzimmer bewohnt, einige Erinnerungsstücke weggeräumt und auch sonst überall ihre Finger dazwischengehabt hatte. »Sogar ans Klavier ist sie rangegangen. Sowas seh ich sofort. Und im Regal hat sie die Platten umgestellt. Na, von mir aus! Soll sie haben den Krempel! Kann ich sowieso nicht mehr sehen, das hier, das alles! Da staunen Sie, was? Aber so läuft das momentan. Muß man können: ganz von vorn anfangen, nicht mehr hinter sich gucken. Was hier mal war, ist sowieso vorbei und gelaufen, auch wenn ich immer sag, daß in unserer Republik nicht alles nur schlecht gewesen ist. Effektiv war es nicht. Planwirtschaft? Na klar. Aber nur, wenn sie klappt und sich rechnet. Das müssen wir lernen, hab ich neulich noch zu den Genossen in Schwerin gesagt: ›Nur wenn man marktorientiert produziert, nur wenn die Rechnung stimmt und Profit dabei rausspringt, kann sich im Prinzip sowas wie ne sozialistische Perspektive …‹ Ob ich? Aber ja doch. Bin wieder drin. Die Partei sucht Leute, die kaufmännisch was draufhaben. Hat aber mit Glauben so gut wie nix zu tun, nur mit Überzeugung. Genau das hab ich Pfarrer Matull geschrieben, na dem, der auf meiner Hochzeit geredet hat, daß wir Jetzt in der Partei, seitdem sie anders heißt, sowas wie Zweifel zulassen im Prinzip. Und zu den Genossen hab ich gesagt: ›Wer nicht zweifelt, der glaubt an rein gar nix!‹ -›Richtig‹, haben sogar die alten Knacker gerufen, die früher immer nur auf Parteilinie geschielt haben … Nun hör doch endlich auf zu heulen, Mutter. Davon wird’s bestimmt nicht besser!« Bald war Emmi mit dem Weinen fertig. Wir versprachen, unsere Nachforschungen nicht aufzugeben. Marthas Angebot, etwaige bei der Suche nach Fonty anfallende Kosten zu übernehmen – sie sagte: »Aufs Geld muß nun wirklich nicht mehr geguckt werden …« –, haben wir abgelehnt: Nach Fonty zu suchen sei für uns Ehrensache. Übrigens hing der Geschäftsfrau an einem schlichten Goldkettchen ein Kreuz am Hals. Auf unsere Frage nach dem Wohlergehen der Firma sagte sie: »Fürn Anfang läuft der Laden ganz gut. Mein Grundmann war ja mehr fürs Improvisieren. Ich bin da anders, mehr fürs Genaue. Zu meiner Freundin Inge, die bei uns jetzt den Haushalt schmeißt und auch nen Hang zum Spontanen hat, hab ich gesagt: ›Risiko muß sein, aber ein kalkuliertes.‹ Na, die lernt das schon noch …« Kaffee bekamen wir nicht angeboten, aber einen Blick durften wir in Fontys Studierstube werfen: Noch sah sie unverändert aus. Nur der rotchinesische Teppich stand schon, fertig zum Umzug, zur Wurst gerollt an den Schreibtisch gelehnt. Keine Blume in der langstieligen Vase. Die russischgrünen Bleistifte auf unterschiedliche Länge gespitzt. Die Schwanenfedern griffbereit. Alles an seinem Ort. Nichts mutete fremd an. Doch lag auf der Tischplatte, halbverdeckt von der kubanischen Zigarrenkiste für Schnipsgummis, Briefmarken und den Bleistiftanspitzer, ein Zettel, den Martha und Emmi übersehen haben mußten. In schöner, schleifiger
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