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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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plaudern können. »Aber das war nichts für Mademoiselle. Sie wollte es wild haben oder uns ihre Treffsicherheit beweisen. Stellen Sie sich vor, da es Schießbuden gab, in denen ne Menge Kunstblumen auf Röhrchen standen, hat sie freihändig und mit wenigen Schüssen zuerst für ihren Großvater ne Rose, dann für mich sowas wie ne Tulpe geschossen. Konnte mich leider nicht revanchieren. Bin schon immer ein schlechter Schütze gewesen. Aber Fonty – wer hätte das gedacht? – hat ihr nach nur drei Schuß ne Kornblume präsentiert und natürlich gleich wieder subversiv gelästert: ›War des Kaisers Lieblingsblume. Trug, wenn Wilhelm Geburtstag hatte, jeder Assessor, jeder Leutnant im Knopfloch. Mag eigentlich keine Kornblumen. Ein dummes, nichtssagendes Blau, ohne Duft., aber für Schießbuden geeignet.‹ Und so ging es weiter, von einem Vergnügen zum nächsten. Sogar ne Zirkusattraktion konnte man bestaunen: ein Motorradfahrer hoch oben auf nein Drahtseil …« Schließlich ist es Hoftaller doch noch gelungen, Fonty seiner Enkeltochter auszuspannen, wenn auch für kurze Zeit nur. Das hätten wir gerne gesehen, wie das uns vertraute Paar, der Tagundnachtschatten und sein Objekt, die Gondel bestieg; auf Hoftallers Wunsch und mit Madeleines Erlaubnis durfte das Gespann ein Viertelstündchen lang Riesenrad fahren. Natürlich habe Mademoiselle, als sie den besonderen Wunsch hörte, gewitzelt: »Monsieur, ich hege Verdacht, daß Sie ein Bücherwurm sind. Könnte es sein, daß Ihnen ein gewisser Graham Greene, sozusagen als Ihr Kollege, das Riesenrad per Lektüre eingeredet hat? Oder ist es der Film gewesen, die berühmte Szene, in der Orson Welles über Kuckucksuhren einerseits und Michelangelo andererseits philosophiert?«
    »Typisch La petite!« riefen wir und genossen Hoftallers nachwirkende Verlegenheit. Drei Fahrten nacheinander durfte er mit Fonty allein in einer Gondel sein. Er lobte mit der Höhenluft die Aussicht und zählte auf, was alles von oben zu erblicken war: die Spree natürlich und Stralau, auf einer Halbinsel zwischen dem Rummelsburger See und dem Fluß gelegen. »Genau da muß man sich Lene Nimptsch und Lina Gansauge beim Rudern vorstellen.« Über Neukölln hinweg habe man weit nach Westberlin sehen können: »Sah man genau, wo mal die Mauer gewesen ist. Oberbaumbrücke im Dunst, aber noch deutlich. Sollten Sie mal probieren, Spreepark, lohnt sich wirklich der Blick von oben. Will nicht aufhören, die Stadt. Sogar Karlshorst, die Trabrennbahn, bis nach Köpenick sieht man und ahnt den Müggelsee, wenn kein Dunst ist. Ne Augenweide das Ganze …« Er war noch immer von der Weitsicht beeindruckt, die das Riesenrad geboten hatte. Erst als wir fragten, was denn mit Fonty hoch oben und im Verlauf der Rundumfahrt zu besprechen gewesen sei, kam wieder sein Lächeln auf, gut eingespurt und geölt: »Nunja. Auch von ihm habe ich Abschied nehmen müssen, was nicht leichtgefallen ist. Übrigens war unser Freund, ganz im Gegensatz zu Ihnen, überhaupt nicht neugierig. Kein Aushorchen: Wohin geht die Reise? ›Fahren Sie!‹ hat er gesagt. ›Fahren Sie, wohin auch immer. Sie werden überall gebraucht.‹ Und dann haben wir, wie gesagt, die Aussicht genossen. Stumm. War ne glückliche Minute … Oder bißchen länger sogar … Kommt selten vor, sowas … Von Westen her zog ein Gewitter auf … Ne Wolkenbank, ziemlich unheimlich …
    Aber tief unten sahen wir Mademoiselle stehn und winken. Wir winkten zurück. Ach ja, ich hatte was mit, nen Stoß Papiere, olle Kamellen von anno Tobak, aber auch Dokumente, die die Familie Wuttke betrafen, besonders den Sohn Teddy, als Ministerialrat zuständig für das militärische Bekleidungswesen … Kein großer Fisch, aber immerhin … Haben uns nen Jux gemacht und Blatt für Blatt in Fetzen zerrissen, immer kleiner, ritsch-ratsch. Ließen dann alles fliegen, wie Lametta, auf und davon in Richtung Spree. Ging ja ein Wind da oben. Sah lustig aus. Waren beide erleichtert, bißchen albern sogar. ›Man muß‹, habe ich zu unsrem Freund gesagt, ›ne Sache zum Abschluß bringen, so oder so …‹«
    »Sind dabei etwa Gedichte zerschnipselt worden?« »Und die Briefe, an Lena gerichtet? Die Spuren der Dresdner Zeit?«
    »Etwa das Gedicht, in dem der Jungapotheker verkäuflichen Lebertran auf treibenden Elbkahn gereimt hat?«
    »Alles futsch?« Hoftaller ließ uns im Ungewissen: »Sagte bereits, verjährte Bestände, Restposten nur. Sie sollten sich endlich zufriedengeben: Kein

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