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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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offizieller Dementis ließen die Zeitungen nicht locker. Sie überboten einander mit Spekulationen und nannten mutmaßliche Täter und Tätergruppen. In einem der Konferenzräume des sonst leeren Gebäudes – und zwar im vierten Stockwerk hatte zur Tatzeit ein Umtrunk unter leitenden Angestellten stattgefunden. Man glaubte, eine runde Zahl glücklich abgewickelter Altlastfälle feiern zu dürfen. Doch konnten die Teilnehmer der Fete, bei der übrigens tüchtig gebechert wurde, kaum unter Verdacht gestellt werden; als hausinterne Ressortleiter und Chefsekretärinnen waren sie Teil eines Systems, das es schon immer verstanden hatte, sich selbst zu beglaubigen.
    Kurzschluß wurde als Ursache genannt. Die wachs-und ölgetränkte Holzverkleidung der Kabinen hätte wie Zunder gebrannt. Später war von fahrlässiger Wartung die Rede. Dennoch blieben Zweifel: Der im Brandbericht der Feuerwehr erwähnte leere Kanister – abgestellt im Kellergeschoß – sowie einige verschmorte Lappen in vier einander folgenden Kabinen ließen sich nicht einfach wegschwatzen. Da aber keine Bekennerschreiben gefunden wurden, ging die Presse davon aus, daß diesmal nicht die RAF, sondern ein Einzeltäter aktiv geworden sei; auch kamen abgetauchte Stasiseilschaften in Betracht. Dennoch begann weder das Bundeskriminalamt noch eine andere übergeordnete Dienststelle zu ermitteln. Staatlicherseits hieß die Devise: Niedriger hängen. Man wollte, was auch gelang, möglichst schnell zur Tagesordnung übergehen. Der Paternoster ist nicht erneuert worden. Er galt ohnehin als auslaufendes Modell. Noch jüngst hatte ihn eine Prüfungskommission mit der Note »hochgradig personengefährdend« bewertet. Umgehend sollte ein moderner Schnellaufzug eingebaut werden, was inzwischen wohl geschehen sein mag. Zusammenfassend läßt sich sagen: Der Brand hat die Arbeit der Treuhandanstalt kaum behindert und sie nur kurze Zeit lang in die Schlagzeilen gebracht. Fontys Vortrag, der in den Feuilletons etlicher Zeitungen – bis in die Provinz hinein – ein wohlwollendes bis spöttisches Echo fand, wurde in keinen ernst zu nehmenden Zusammenhang mit dem brennenden Paternoster gerückt. Hier und da glossierte man das »symbolhafte Parallelereignis«. In einem Massenblatt hieß es: »Vortragskünstler versucht sich als Hellseher.« Mehr als eine Spalte kam dabei nicht heraus, denn gegen Ende August herrschte kein Mangel an wirklich sensationellen Nachrichten: Gorbatschows Stern war gesunken. Die Sowjetunion fiel auseinander. Auf dem Balkan begann das Morden. Und die Börse spielte verrückt.
    Wer mochte in solch aufregender Zeit nach einem alten Mann fahnden, der zwar noch immer unter dem Namen Theo Wuttke auf der Gehaltsliste der Treuhand stand. doch nur – wenn überhaupt – als Fonty bekannt war. Er hätte nicht abtauchen müssen. Kriminalistisch krähte kein Hahn nach ihm. Zudem hieß sein Alibi Kesselhaus und Kulturbrauerei. So viele Augenzeugen auf seiner Seite. Nur die Macht der Fiktion ließ ihn verdächtig erscheinen. Aber er blieb weg und galt als verschollen.
    Nicht, daß wir das Archiv geschlossen hätten, aber gesucht haben wir ihn überall. Einige waren ständig unterwegs, und auch ich schob wiederholt Außendienst, denn Gründe für unsere Suche gab es genug: Schon nach wenigen Tagen fehlte uns Fonty sehr. Es war, als gilbten unter unseren Fingern ganze Stöße kostbarer Papiere, als mangelte uns sein belebender, staubaufwirbelnder Atem, als müßten wir ihn beschwören, damit er uns wieder leibhaftig werde, es war, als mahne uns, kaum war er weg, die Pflicht an, sogleich und als Kollektiv die Geschichte des Verschollenen niederzuschreiben. Ach, wie trostlos war es ohne ihn. Wir riefen uns Redensarten des Unsterblichen zu, die von mißratener Sommerfrische knappen Stimmungsbericht gaben: »Was kann einen nicht alles vertreiben: Köter, Hähne, Menschen …« Oder: »Durch das Fenster strömt ein Mischgeruch von Jauche und Levkojen …« Auch die berühmte Sentenz: »Die Frage ›wozu noch?‹ wächst …« Und als jemand seufzte: »Ich wünschte, es käme der kleine Brahm zu einer Plauderstunde«, blickten wir alle zur Tür, aber Fonty kam und kam nicht. Den Tiergarten haben wir abgesucht. Nicht einmal Spreewaldammen, die »alle milchsauer rochen«, fanden wir dort, nur Türken seines Alters, die keine Auskunft wußten. Dem Haubentaucher fiel nichts außer Wiederholungen ein. Die Rousseau-Insel ohne höhere Bedeutung. Doch die Versuchung, unser

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