Ein weites Feld
Bemühen aufzugeben, kam uns dennoch nicht an.
Auf dem Friedhof der französischen Domgemeinde hinterlegten wir unterm Immortellenkranz einen Zettel: »Bitten um vertrauliches Gespräch.« Wir pilgerten die Potsdamer bis zur imaginären Hausnummer hoch und deponierten in der Imbißstube gleichfalls einen verdeckten Lockruf: »Haben neues Material für ›Likedeeler‹-Projekt gefunden …« Und auf dem Alexanderplatz suchten wir seinen Zeitungskiosk auf, um dort eine weitere Suchanzeige auszuhängen. Ob im Scheunenviertel oder auf Spreebrücken, keiner seiner Lieblingsplätze blieb außer Betracht. Zwischendurch stiegen wir immer wieder in der Kollwitzstraße die drei Treppen hoch, klingelten, schoben Zettelchen durch die Schwellenritze, legten sogar das Ohr an die Tür: Nichts rührte sich. Der neue Nachbar war ahnungslos, der Hausmeister nur geschwätzig. Schon wollten wir im »Tagesspiegel« eine Anzeige »Suchen Person, die über das Große kurz, über das Kleine weitschweifig schreibt« einrücken lassen, da wurde uns, beim letzten Versuch, die Tür zur Dreieinhalbzimmerwohnung geöffnet. Wir fanden Emmi und die Witwe Grundmann vor. Sie konnten nur mit Erstaunen wiedererkannt werden: beide frisch vom Friseur. Die Kleidung vom Feinsten, doch nicht neureich aufgetakelt, eher von hanseatischem Chic, als hätten Mutter und Tochter in Hamburg maßnehmen lassen. Aus der fülligen, immer ein wenig schlampig wirkenden Frau Wuttke war eine stramme Madame, aus Martha eine karrierebewußte Geschäftsfrau geworden; selbst ihr Parfum roch profitorientiert. Beide Frauen beherrschten die Küche und alle anderen Räume, die eine, indem sie die hinterlassenen Möbel taxierte, die andere, indem sie sich lässig und bereits distanziert gab. Nur als sie den Mund aufmachten, sprach immer noch und unverblümt die Kollwitzstraße; für diesen Tonfall war kein Friseur zu finden gewesen. Dieses mal mürrische, mal wehleidige, dann wieder gutmütige Gemaule ließ sich nicht maßschneidern. Kein Parfum hätte den Wohnküchendunst übertönen, kein Ortswechsel die eingeübten Arien der beiden Frauen auf Salonton umstimmen können. Mutter und Tochter waren sich, im Prinzip, gleich geblieben und fanden zuerst einmal alles schlimmer als schlimm: »Daß mir mein Wuttke das antut …« -»Na sowas war von Vater schon längst zu erwarten …« An den Küchentisch gebeten, gaben wir Bericht vom Kesselhaus der Kulturbrauerei, vom zahlreichen Publikum, der anwesenden Prominenz und vom Redner am Stehpult, vom Zwischenapplaus. Obgleich wir Abschweifungen unterschlugen und vielmehr die gesteigerte Qualität des Vortrags, besonders dessen Wortwitz und zitatsichere Komplexität betonten, sagte Emmi: »Dasser das nich lassen kann. Immer die Klappe groß auf, und die Leute lachen sich schief über ihn.
Das war beim Kulturbund schon so, och wenn ich zehnmal gesagt hab, sag, was de sagen darfst, und red nich auswendig. Das kannste nich, Wuttke, da kommt dir zuviel dazwischen, hab ich gesagt, das läuft dir glatt weg …« Und von Martha, die unseren Bericht nur mit Ungeduld ertrug, hörten wir: »Nix Neues. Wußten wir längst schon. Stand sogar bei uns in der Zeitung, daß sich Vater mal wieder aussein Fenster gehängt hat. War noch ganz witzig geschrieben, was in der ›Mecklenburgischen‹ drinstand: ›Nach liebevoller Kleinmalerei kam es zum großen Feuerzauber.‹ Muß ganz schön komisch gewesen sein anfangs, aber am Ende ist er ausgeflippt, wie immer. Kenn das. Genau. Hab ich als Kind schon erlebt, wie das ist, wenn Vater ein Faß aufmacht. Und als wir dann zu lesen kriegten, daß es in der Treuhand gebrannt hat, wußt ich, was Fakt ist, und hab mir gleich gedacht, wenn da mal nicht Vater irgendwie drinsteckt …« Aber Emmi war anderer Meinung: »Mein Wuttke? Nie macht der sowas. Der redet doch nur. War früher nich anders, wenn er sich in die Nesseln gesetzt hat und alles immer schlimmer wurde davon. Dabei hätt er zu uns kommen solln. Ein Telegramm nachem andern, und was das gekostet hat. Aber Martha hat immer gesagt: Is nix mit Sparen. Was sein muß, muß sein. Und is ja och alles fix und fertig für ihn und schön tapeziert. Nur umziehen müssen wir noch. Gewartet wird nich mehr. Morgen lassen wir packen, nich alles, aber das meiste, wo er dran hängt. Sogar die ollen Vorhänge und Gardinen nehm ich ab und laß sie für ihn aufhängen in seinem Zimmer, damit er sich schneller gewöhnt, wenn er kommt endlich …«
»Erst muß er mal wieder
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