Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
hat und mir ein selbstgewähltes Ende vorschreiben wollte, wäre erstaunt, wüßte er …«
    »CIA!« riefen alle, und ich fügte hinzu: »Wen wundert das?« Weitere Geheimdienste fielen uns ein, sogar Mossad, der israelische. Nun, da seine Abreise feststand, glaubten wir locker, wie unbekümmert fragen zu dürfen. Er ließ uns zappeln und in die Irre gehen. Wir schickten ihn auf Suche nach letzten Nazis oder ins Dickicht dieser oder jener Mafia. Ahnungslos, wie wir waren, beförderten wir ihn aus seiner überlebenslang mittleren Position zum Topagenten. Er gefiel sich in Bescheidenheit – »Alles ne Nummer zu groß« –, aber dann, schon im Aufstehen, leitete Hoftaller einen Satz mit uns vertrauter Wendung ein: »Übrigens …«, sagte er, und schon wußten wir, auf wen er hinauswollte. »Übrigens bring ich fürs Archiv Grüße von unserem Freund mit. War gar nicht so einfach, ihn aufzustöbern. Habe auf ner Fährte gesucht, die nichts brachte. Sie wissen ja, diese Blumentopffrau, die lange vor ihm abgetaucht ist. Richtig, Helma Frühauf. Hat nicht ne Andeutung von ner Spur hinterlassen. Wurde von uns unter dem Kennwort ›Gemmengesicht‹ geführt. War anfangs, als wir die Sache noch einigermaßen im Griff hatten, zuverlässig, doch zum Schluß … Jedenfalls Fehlanzeige … Zum Glück fiel mir ein, daß Mademoiselle Aubron, als wir Mitte August in Potsdam. waren, mehrmals zu ihrem Großvater gesagt hat: ›Zu viele Könige. Und alles todernst. Ich hätte mal Lust auf etwas wirklich Lustiges. Ach, Großpapa, darf ich mit Ihnen Karussell fahren?‹ Sie durfte. Und ich werde Ihnen jetzt, ganz unter uns und als Freund des Archivs, verraten, wo ich das Vergnügen hatte, unserem Fonty und seiner reizenden Enkeltochter zu begegnen. War ne echte Überraschung. Sie würden staunen. Nur ein paar Stichworte zum Abschied, dann muß ich aber wirklich …«
    Er hat sie im Spreepark gefunden, der zu Zeiten der Arbeiter- und Bauern-Macht Kulturpark hieß und Teil des Treptower Parks ist, in dem das sowjetische Ehrenmal steht. Er sagte: »weil im Rentenalter, mußte ich nur den halben Preis zahlen. Trotzdem, ganz schön happig, Westtarif! Aber dafür kann man, so oft man will, auf allem fahren, sogar auf der Achterbahn. Ist ne Gelegenheit, sollten Sie mal probieren.« Und auf dieser schrottreifen, in allen Gelenken krachenden, in sich bebenden, doch seit den Schuljahren unserer nunmehr erwachsenen Kinder unfallfreien Achterbahn hat er das vermißte Paar gesehen, mit erstem Blick, leicht herauszupicken.
    Zwischen halbwüchsigen Schülern saßen sie und kreischten wie alle Mitfahrer in den Kurven, bei absturzähnlicher Talfahrt, in Schräglagen im rasenden Tempo durch den Tunnel und im weiteren Geschlinge der sich selbst in den Schwanz beißenden Strecke. Er mußte längere Zeit warten – »Konnten beide nicht genug bekommen« –, denn Fonty und Madeleine blieben dreimal nach Abschluß der Fahrt sitzen, sind also viermal hintereinander einem Vergnügen nachgegangen, das schon beim Zusehen auf den Magen drückt.
    »Für mich wäre das nichts gewesen«, sagte Hoftaller, als er mit kurvenden Händen die Achterbahn nachbildete, langsam bergauf kriechend, vom Höhepunkt abwärts bis ins letzte Gekreisel. Sogar die Kurvengeräusche imitierte er. Endlich hätten beide genug gehabt, seien aber nicht torkelig ausgestiegen und kein bißchen erstaunt gewesen, ihn dort zu finden, wo der Ausgang war: »War ja nicht zu übersehen.« Fonty habe sogleich gespottet: »Hat aber kolossal lange gedauert, bis Sie fündig wurden. Vermute, Ihr Spürsinn läßt nach.« Und Madeleine sei ziemlich frech geworden: »Darf ich Sie, Monsieur Offtaler, zu einer kleinen Bergundtalfahrt einladen? Sieht nur so gefährlich aus. Sie sind doch mutig, nicht wahr?« Hoftallers Lächeln nahm gütige Ausmaße an, als er sich für uns an das Abenteuer Spreepark erinnerte: »Keine Bange. Nur auf ein eher harmloses Karussell habe ich mich nötigen lassen, war schlimm genug.« Obgleich er es eilig hatte und immer wieder aus dem Besuchersessel sprang, wurden uns sämtliche Attraktionen, mit denen der Vergnügungspark bestückt war, eher breit geschildert, unter ihnen ein »Fliegender Teppich«, den Fonty und La petite schon wiederholt erprobt hatten. Sogar in Schwänen, die als Boote langsam dahinglitten und durch ein Zugsystem auf einem der Spree nachgebildeten Wasserarm ihren mäandernden Weg nahmen, hätte man in Ruhe über alles mögliche, sogar über Zukunftspläne

Weitere Kostenlose Bücher