Ein weites Feld
Die gepolsterten Seitenlehnen schmückte wilhelminische Schnörkelei. Nur die geschwungene Rückenlehne verlief schlichter, als wollte sie sich biedermeierlicher Vorfahren erinnern. Beide saßen wie übriggeblieben. Und aus der Tiefe des Sofas sagte Fonty: Jedenfalls konnten Lepel und ich, noch bevor der Manteuffel-Spuk vorbei war, endlich unsere Schottlandreise antreten. In ›Jenseits des Tweed‹ steht gleich zu Beginn …« Aber Hoftaller wollte keine längeren Zitate und gewiß nichts Verwirrendes über das schottische Clanwesen hören. Er haßte Schottland, weil diese abseitige Gegend außerhalb seiner Kontrolle lag. »Verschonen Sie mich! Nichts liegt mir ferner als Ihre Campbells, Stuarts und Macdonalds. Es gehörte nicht zu meinen Aufgaben, Ihre oft schlampig recherchierten Reiseberichte zu korrigieren. Im Unterschied dazu waren Ihre Verfälschungen von ›Times‹-Artikeln in den Spalten der ›Neuen preußischen (Kreuz-)Zeitung‹ ne wahre Leistung: Meisterstücke stilistischer Glaubwürdigkeit, trotz aller englandfeindlichen Propaganda. Doch lassen wir das. Bin ja zufrieden mit unserer gegenwärtigen Zusammenarbeit. Entwickelt sich produktiv. Sehe mich mittlerweile sogar bereit, einige Sie betreffende Unterlagen der Notheizung zuzuführen. Denke dabei an meist harmlose, doch in besonderen Fällen ziemlich brisante Informantenberichte aus der Zeit Ihrer Tätigkeit beim Kulturbund. Zum Beispiel die Einschätzung eines Theaterstücks, die Sie noch vor der Aufführung schrieben, als in Berlin-Karlshorst eine FDJ-Studentengruppe … Na ja, damit wurde man fertig. Aber Ihr lobhudelnder Vergleich, der den Autor Müller neben den jungen Hauptmann, das Machwerk ›Die Umsiedlerin‹ neben ›Die Weber‹ stellte, grenzte an Sabotage. Und das wenige Wochen nach dem Bau des antifaschistischen Schutzwalls. Leider haben wir damals den abschließenden Satz des Informanten ›Fonty‹, ›Dieses Stück birgt Sprengkammern voll sozialistischem Dynamit‹, als positive Wertung verstanden. So kam es am 30. September 61 zur Aufführung, das heißt zur Beleidigung der Arbeiterklasse durch verzerrende Darstellung der Wirklichkeit. Zynisch wurde die Kollektivierung der Landwirtschaft in Szene gesetzt. Maßnahmen mußten ergriffen werden.
Verbandsausschluß. Endlose Sitzungen. Sogar die Akademie tagte. Danach die übliche Selbstkritik. War ne Staatsaffäre! Und alles nur, weil wir Ihrem Gutachten, dem ›sozialistischen Dynamit‹ vertraut haben.« Fonty lachte in seiner Sofaecke. »Geknallt hat es immerhin!« Und als Hoftaller das verjährte Papier aus seiner Brieftasche zog, entfaltete, glättete, schließlich den Informantenbericht Zeile nach Zeile bis zum »sozialistischen Gruß, Ihr Theo Wuttke« vorlas, wobei der im Briefkopf angeführte Deckname »Fonty« nicht verschwiegen wurde, lachte er immer noch: »Ach Gottchen, was ist nur aus unserem Müller geworden!« Erst als sich Hoftaller aus seiner Sofaecke vorbeugte, das handschriftlich doppelseitig beschriebene Blatt mit zwei Fingern von sich hielt, sein Feuerzeug zog und schon beim ersten Versuch Erfolg hatte, lachte er nicht mehr. Bei schwindendem Lächeln sah er zu, wie das Zeugnis seiner Doppeltätigkeit beim Kulturbund von der linken unteren Ecke nach oben weg abbrannte, ohne daß Hoftaller, der rechtzeitig losließ, Schaden nahm. Zwischen ihren Schnür- und Schnallenschuhen verglühte das Blatt auf dem Betonfußboden des Heizungskellers. Ein wenig feierlich war ihnen zumute. Wohl deshalb holte Hoftaller aus der Tiefe seiner Aktentasche nicht etwa, wie sonst bei Pausen, jene Thermosflasche und Blechdose voller Mettwurstbrote, die schon Tallhovers Biograph nachgewiesen hat, sondern zauberte eine Flasche Rotwein, zwei Pappbecher und einen Korkenzieher hervor. Bevor Hoftaller »Nun wollen wir es uns aber gemütlich machen« sagen konnte, sagte Fonty schnell und wie abschließend: »Daß ich den jungen Müller mit dem jungen Hauptmann verglichen habe, ist immer noch furchtbar richtig. Leider sind auch ihre Altersstücke von ähnlicher Mache. Aufgedonnerter Kulissenzauber. Beim einen reizt mystischer Qualm die Lachnerven, der andere bietet verwursteten Shakespeare und Grausamkeiten als Dutzendware. Soll alles zynisch wirken, bleibt aber Pose und wabert kolossal …«
Wir vom Archiv wissen, daß ihm schon das frühe Hauptmannstück »Hanneles Himmelfahrt« mißfallen hat. »Über diese Engelmacherei könnte ich zwei Tage lang ulken«, schrieb er im November 93 an sein
Weitere Kostenlose Bücher