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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Fonty: »Nimmt kein Ende mit den Akten, was, Fonty?« – »Was gibt’s denn Neues, Fonty?« – »Immer schwer zu tragen, was, Fonty?«

5 Im Sofa versunken
    Auch wenn wir uns der primären und sekundären Fakten sicher sind, muß zugegeben werden: Das Archiv wußte nicht alles. Tiefere Einblicke in jenen Bereich, der unterhalb seiner Nervenpleiten lag, blieben versagt. Und weil der Unsterbliche bis in die Tagebücher hinein dichthielt, überprüften wir ersatzweise Fontys wortwörtliches Fortleben, von dem er uns Beweise in Zitaten gab, die selten vom Original abwichen. Mehr aus Jux denn ernsthaft haben wir ihn auf die Probe gestellt, zumeist mit verblüffendem, uns beschämendem Ergebnis. Sobald er das Archiv besuchte, fragten wir ihn aus, insgeheim hoffend, er werde aus der Rolle fallen oder ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern und dabei mehr preisgeben, als sich der Unsterbliche erlaubt hat. Doch selbst auf dürftig bestelltem Feld, zum Beispiel, als wir nach dem späten und immer wieder liegengebliebenen »Likedeeler«-Projekt fragten, wußte er Antwort. Der Verleger Hertz habe für das geplante Epos über »frühkommunistische Gleichteiler« nur gängiges Zeug geliefert: Störtebekers Seeräuberei aus hanseatischer Sicht, nichts über die Ideologie der brüderlichen Genossenschaft. Dennoch wolle er diesen Plan als Vermächtnis aufgreifen und das Fragment in balladeskem Ton zur Reife bringen, er wisse schon, wie; bestimmt nicht mit grobem Seeräubergereime und parteilichen Sprüchen, wie es dieser Barthel, den die Genossen Kuba nannten, getan habe. Und nach einem zeitentlegenen Randproblem, dem Skandalfall Oskar Panizza, befragt, sagte er, was dessen »Liebeskonzil« angehe, sei dieses zwar »polizeischwierig« gewesen, doch stehe er nach wie vor auf dem Punkte: Für Panizza müsse »entweder ein Scheiterhaufen oder ein Denkmal errichtet werden«. Er wußte alles, und wir konnten nur ahnen, was alles und in wessen Tonfall von ihm verschwiegen wurde; denn die dunkle Seite seiner fortgesetzten Existenz ließ sich allenfalls mit dem flackernden Schein eines konjunktivischen Talglichts ausleuchten, zum Beispiel seine weggeplauderten Heimlichkeiten, alles apart Ausgesparte, die letzten Zufluchten, das Schlupfloch. Und deshalb tappten wir lange im dunkeln, als wir der Frage nachgingen: Wo ließe sich das von ihm mehrmals angedeutete Versteck vermuten? Was hatte er mit dem Köderwort »Sitzmöbel« sagen wollen? Und welcher Stil ließe sich dem offenbar bequemen Möbel nachweisen?
    Sicher ist, daß es im Haus der Ministerien einen besonderen Sessel oder ein einzigartiges Sofa gegeben haben muß. Fontys Satz »Sie ahnen nicht, wieviel Vergangenheit in einem Polstermöbel Platz findet« war dafür Hinweis genug. Und da er in diesem Gebäude nur mit Schatten vorstellbar war, schied der Sessel aus; wo aber das Sofa seinen Platz hatte, ist nicht eindeutig zu bestimmen. Entweder war sein Standort in der Kelleretage, genauer gesagt, im Heizungskeller zu finden, oder es gammelte in einem Winkel des unübersichtlichen Dachbodens vor sich hin. Zöge man den Keller in Betracht, hieße die Frage: War die Heizungsanlage geeignet, Hoftallers vorbeugende Aktionen abzuschließen? Gewiß, aber nur dann, wenn Braunkohle als Brennmaterial und eine Großofenklappe möglich gewesen wären, zudem eingebunkerte Brikettberge und schaufelnde Heizer; immerhin ist der Arbeiter- und Bauern-Staat mit dieser oft minderwertigen Kohle beheizt worden, und entsprechend gasig roch es landauf, landab, falls einem Staatswesen solch eigenständiger Geruch nachgesagt werden kann.
    Hätten wir um Auskunft gebeten, wäre unsere Frage sicher mit knappem Hinweis auf Fernwärme beantwortet worden. Die nachgereichte Frage nach einem eventuell vorhandenen Notofen würde der angeschriebenen Dienststelle weder ein ja noch ein Nein wert gewesen sein, also blieb sie offen, also ließe sich eine seit Kriegsende nicht mehr benutzte Feuerstelle, vielleicht benachbart der Tiefgarage, vermuten, also wären Kellerbesuche zu erwägen gewesen. Das Sofa stünde dann in einer Nische mit Blick auf den Notofen; und ein solch gemütliches Refugium käme unserem Verdacht entgegen: Weil kein in der Lausitz betriebener Braunkohleabbau die Heizung hätte füttern müssen, sondern nur eine Notbefeuerungsanlage instand gehalten wurde, diente dieser seit Jahren kalte Ofen beim Vollzug eines Vorgangs, den Hoftaller, der sich manchmal in westlichem Targon gefiel, »Entsorgung«

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