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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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getrunken wird und Föhn herrscht. Alpenglühen, Wilderer, Bergbauern, farbig Katholisches …« Da unterbrach ihn Hoftaller und wollte alles auf einen Punkt bringen: »Machen Sie sich nichts vor, Fonty. Sie waren und sind ne verkrachte Existenz. Hier, in dieser sandigen Gegend, haben Sie es immerhin zum Denkmal gebracht, doch in Bayern hätte es nicht mal zu ner achtel Portion Unsterblichkeit gereicht.« Er holte als Tallhover aus, um als Hoftaller draufzupacken. Zum Abrechnen war das Sofa wie geschaffen. Die Beweise für »verkrachte Existenz« brachte er mit lächelndem Bedauern, eher geflüstert als herausposaunt. Nur selten kam Schärfe in seine Stimme. Und selbst Punktumsätze wie »Sie waren und bleiben ein unsicherer Kantonist« hoben das milde und nachsichtige Lächeln nicht auf. Wohlwollen überwog, wie überhaupt Hoftallers rundes, wir sagten oft bauernschlaues Gesicht samt den knopfkleinen, von Lachfältchen gefaßten Augen eher bekümmerte Fürsorge als Härte spiegelte.
Ohne zu dem in der Tallhover-Biographie erwähnten, durch einen gewissen Lieske ermordeten Polizei-Rath Rumpf eine namentliche Annäherung herbeispekulieren zu wollen, können wir Fontys Hinweis auf den frühen Berlinroman »L’Adultera« bestätigen; in ihm tritt ein Polizeirat Reiff als Nebenfigur auf und beweist dabei eine nicht zu ignorierende Ähnlichkeit mit Hoftaller als Tallhover: »… ein kleiner behäbiger Herr mit roten und glänzenden Backenknochen, auch Feinschmecker und Geschichtenerzähler, der, solange die Damen bei Tisch waren, kein Wässerchen trüben zu können schien, im Moment ihres Verschwindens aber in Anekdoten exzellierte, wie sie, nach Zahl und Inhalt, immer nur einem Polizeirat zu Gebote stehn …« Wir vermuten, daß Tallhover als Modell stillgehalten hat, damit auf Papier die Nebenfigur Reiff entworfen werden konnte; und daß die romanhafte Person in preußisch-protestantischer Umgebung katholisch zu sein hatte, hätte auch zu Tallhover gepaßt, wenngleich Hoftaller, nach seiner Religion befragt, vorgab, »streng wissenschaftlicher Materialist« zu sein. Anfangs verfuhr er nachsichtig mit der »verkrachten Existenz«. Er überging die abgebrochene Gymnasialbildung, lobte sogar den Abschluß an der Friedrichswerderschen Gewerbeschule, also das »Einjährigen-Zeugnis«, und erweiterte sein Lob um die Spanne der Lehrzeit in der Apotheke »Zum Weißen Schwan«, die trotz unablässiger Reimerei durchgehalten und mit dem Abschluß als Apothekergehilfe – unterschrieben von Wilhelm Rose, Spandauer Straße – beendet wurde. Dann aber hörte sich Hoftallers Abrechnung streng, schließlich unerbittlich an: »Diese Unruhe! Ne Menge Ortswechsel. Will aber nur an die Dresdner Adresse erinnern: Salomonis-Apotheke, denn dort wurde beim Verkauf von Lebertran und direkt übern Ladentisch weg ne Verbindung geknüpft, die nicht gerade revolutionär war, eher spätromantisch, deren Folgen jedoch ruinös blieben: Einmal und abermals wurden dem Apothekergehilfen und Jungdichter Alimente abkassiert, wovon ein Jammerbrief an Freund Lepel Zeugnis gibt: ›Meine Kinder fressen mir die Haare vom Kopf, eh die Welt weiß, daß ich überhaupt welche habe …‹ Nun, wir wußten von der beklagten, zu großen ›Lendenkraft‹. Aber Emilie Rouanet-Kummer. die Verlobte im Wartestand, durfte nicht wissen, was für ne Hurerei sich über Jahre hinweg am Elbufer abgespielt hat. Lief alles heimlich. Lepel pumpte Geld. Nichts kam ans Tageslicht. Aber wir hatten den Fisch an der Angel: die verkrachte Existenz, den ausgepowerten Kindsvater, das Liebesverse schmiedende Genie … Könnte plaudern … Hätte Lust, auskunftsfreudiger zu sein als das so gut sortierte Potsdamer Archiv …«
Fonty war erschrocken und wir mit ihm. Er sank, als immer mehr Peinlichkeiten aus der anderen Sofaecke kamen, tiefer und tiefer ins Polster, wie auch uns das detaillierte Spezialwissen verstörte. Was Hoftaller »Dresden und die Folgen,« nannte, hätte als Konvolut belastender Papiere eine das Archiv schmerzende Lücke füllen können. Er zitierte aus Briefen und beigelegten Gedichten. Er hob Datierungen hervor. Aus sieben Jahren, bis zum Abbruch der Revolutionären Korrespondenzen in der »Dresdner Zeitung«, sollen siebenunddreißig Liebeszeugnisse von des Unsterblichen Hand überliefert sein, doch blieben diese mehr herzzerreißend poetischen, weniger radikal politischen Papiere als Geheimdossier nur jenen verfügbar, die von Berufs wegen Druck ausüben. Selbst

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