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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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ein: Hoftaller nach Fonty.
Kurz danach kam er ins Archiv, natürlich wieder mit Blumen. Er hatte keine besonderen Wünsche, wollte nur plaudern. Außer seinem wiederholten Hinweis auf den Friedhof der französischen Domgemeinde an der Pflugstraße, den zu besuchen er vorhatte – »Bin allerdings auf touristisches Gerempel gefaßt« –, fiel nichts Besonderes auf; wer hätte ahnen können, daß ihn zu uns wie zum Friedhof Abschiedsgedanken geführt haben. »Habe heute meinen Zitiertag!« rief er und begann sogleich, nach der »Rütli-Methode« einige dazumal hochgeschätzte Kollegen niederzumachen: »Heyses Triumphe sind immer noch mehr seiner Persönlichkeit als seinem Dichtertum zuzuschreiben …« Und nach Storms »ewiger Husumerei« war Raabe dran: »Er gehört zu der mir entsetzlichen deutschen Menschengruppe, die mit allem unzufrieden sind, alles erbärmlich, verlogen und Quatsch finden …« Dann machte er sich über Leserinnen, die typische »marlittgesäugte Strickstrumpfdame aus Sachsen oder Thüringen« lustig und leitete mit dem Ausruf: »Brachvogel ist Küchenlektüre!« von der Ebbe deutscher Literatur zur Flut seiner englischen Lieblingsautoren über, wobei er Walter Scott höher als Dickens stellte. Nachdem wir uns des längeren über literarisch erzeugte Sympathie für an sich verbrecherische Taten unterhalten und dabei Thackerays »Catherine« mit des Unsterblichen »Grete Minde« verglichen hatten, machte uns Fonty darauf aufmerksam, wie sehr der Vorabdruck von Novellen und Romanen den Zwang zum spannenden Kapitelschluß gefördert habe. Doch kaum hatte er durch Zitat Tangermünde in Schutt und Asche gelegt – »Ein Feuermeer unten die ganze Stadt; Vernichtung an allen Ecken und Enden, und dazwischen ein Rennen und Schreien, und dann wieder die Stille des Todes …« –, lachte er plötzlich und wechselte das Thema. Er wollte von uns wissen, wie das Archiv nach der demnächst fälligen Währungsunion finanziert werden könne. »Das kostet doch nur und bringt nichts ein.« In unserer damals allgemeinen Ratlosigkeit stellten wir die Gründung einer fördernden Gesellschaft in Aussicht und sagten, daß es im Dezember, und zwar hier in Potsdam, zu einer Tagung kommen werde und daß Frau Professor Jolles extra aus London anreisen wolle, um den Festvortrag zu halten. Fonty gab zu verstehen, wie sehr er die forschende Arbeit der alten Dame schätze; besonders beispielhaft seien ihre Erkundungen der Englandaufenthalte: »Sie weiß beinahe alles. Und vielleicht weiß sie sogar mehr, als sie offengelegt hat …« Der Archivleiter gab zu verstehen, Charlotte Jolles habe brieflich versprochen, beim Festvortrag unüberhörbar zu Geldspenden aufzurufen. Und Fonty war mit einem Zitat gerüstet: »Der eine hat den Beutel, der andere hat das Geld …« Nachdem er die anfangs zu heftig ausgefallene Kollegenschelte zurückgenommen oder relativiert, Heyses Sonette und Storms Lyrik gelobt, sogar Brachvogel einen »guten Handwerker« genannt und sich für Raabes bitteren, manchmal nur kauzigen Humor ausgesprochen hatte, ging er und winkte von der Tür aus mit seinem leichten strohgelben Sommerhut; den hatte ihm seine Tochter Martha vor Jahren von einer Urlaubsreise an die bulgarische Schwarzmeerküste mitgebracht.
Nicht nur uns machte das neue Geld Hoffnung und Sorgen zugleich. Insgesamt ging es um Wünsche, die lange, vielleicht zu lange hatten warten müssen. Beunruhigt war auch die Familie Wuttke und auf besondere Weise Fonty, den sein Abtauchgedanke umtrieb; weil mit dem damaligen Blechgeld dort, wo er hinwollte, nichts zu haben war, setzte er kopfrechnend auf die neue Währung. Sein Hoffen klammerte sich an den amtierenden Ministerpräsidenten des immer noch existierenden Zweitstaates, eine zwar in der Öffentlichkeit verdrückt wirkende, doch nach letzter Wahl durch westliche Schubkraft gestützte Figur, die den aus Arbeiter- und Bauernstaatsjahren hinterbliebenen Genossen Modrow abgelöst hatte. Nun übte er landesweit und stellvertretend Zerknirschung und bewies bis in den Namen hinein streng calvinistische Ausstrahlung. Deshalb wurde Lothar de Maizière für Fonty zum Hoffnungsträger. Er mag sich gesagt haben: Dem könne der Westen nicht, wie dem Vorgänger, sozialistischen Eigensinn nachsagen. Der werde für neues und härteres Geld sorgen. Dessen bewiesene Demut dürfe mit irdischem Lohn rechnen. Nur mit seiner Hilfe könne, bei halbwegs günstigem Umtausch, das Programm, hier untertauchen und anderswo

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