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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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17. Umständlich und geheimniskrämerisch sperrte Hoftaller im Innern der Tüte die Kiste auf, kam endlich wieder hoch und stand nun kleinwüchsig mit einer Romeo y Julieta am Stehtisch. »Allerdings«, sagte er, »ist der Sonderzug nicht von hier aus, sondern vom Stettiner Bahnhof nach Saßnitz abgedampft.« Die Länge der Zigarre in Hoftallers Gesicht entsprach dem Schirm der Baseballkappe. »Jedenfalls fing alles, was hinterher kam, mit Lenins Durchreise an.« Das sagte er, als die Zigarre, kennerisch angezündet, schon zog und während Fonty immer noch von seiner Bockwurst abbiß, Häppchen nach Häppchen und jedes Häppchen in Mostrich getunkt. Und jetzt redete Hoftaller in den kurz innehaltenden, dann mit der Zugluft abziehenden Zigarrenrauch hinein: »Das kommt davon. Was jetzt passiert, hat immer noch mit damals zu tun: Lenin und die Folgen. Behaupte trotzdem: Ab 1. Juli sieht die Welt anders aus. Klar, unsere Produkte werden danach nur noch zum Wegschmeißen und unsere Betriebe das sein, was der Westen seit Monaten sagt: Schrott. Von Rostock bis KarlMarx-Stadt: ne einzige Schrotthalde. Doch dafür sind dann überall die Regale voll. Und zwar im Handumdrehen. Lauter Westzeug, prima verpackt. Und genauso schnell wird das Hartgeld, das wir ruckzuck eins zu eins und den dicken Rest später halbiert kriegen, wieder im Westen sein, wo es ja herkommt. ›Ein Schnäppchen machen‹ heißt das bei denen. Und mit der harten Mark kommen ne Menge Aufkäufer. Sind übrigens schon da, um sich Greifbares auszugucken. Na, Fonty, diese Sorte kennen Sie doch. Sind alle vom Stamme Nimm, Ihre Treibels und Konsorten. Die machen bei uns ihren Schnitt. Für all diese Raffkes ist das hier Niemandsland. Die sehen nur Baugrund. Hier ein Stück, da ein Stück raus. Filetstücke nennen die das. Am Potsdamer Platz schnibbeln sie jetzt schon rum. Nicht nur die Japse. Klar doch: Mercedes voran!« Inzwischen hatte Fonty seine Bockwurst erledigt. Sorgfältig wischte er sich mit der Papierserviette. Die im Bahnhof Lichtenberg herrschende Zugluft wühlte in seinen dünnen weißgrauen Haarsträhnen. Ohne Hut wirkte er älter. Nur seine Stimme blieb jung: »Kolossal ideologisches Gewäsch, was Sie da reden. Ausbeuterklasse, kennen wir doch diese Sprüche. Kapitalisten wollen uns plattmachen, oft gehört, nie geglaubt. Das sind nur Sie, Hoftaller, der hier mit dicker Zigarre den Teufel an die Wand schwatzt. Und alles, weil Sie und Ihre Genossen nichts mehr zu melden haben. Ist ja auch schlimm, was? Die Festung Normannenstraße gestürmt. Die Aktenschränke versiegelt. Das Staatswesen pleite. Und Ihr papierner Fleiß, all die jahrzehntelangen Schofelinskischaften der Firma Horch, Guck und Greif sind für die Katz gewesen. Da wird zwar noch ein bißchen geschnüffelt. Und was der Reißwolf nicht schafft, muß sonstwo und sei’s in einem abgewetzten Sofa verstaut werden, aber richtig operativ ist das nicht mehr, eher Zeitvertreib. Na ja, war behilflich dabei, sogar gerne. Bin ja froh, wenn das Giftzeug verschwindet. Doch nun ist Schluß damit, endgültig! Was ich im verflossenen November auf dem Alex gesagt habe, als da Hunderttausende standen, das gilt immer noch: ›Eine neue Zeit bricht an! Ich glaube, eine bessere und glücklichere! Und wenn nicht eine glücklichere, so doch mindestens eine Zeit mit mehr Sauerstoff in der Luft, eine Zeit, in der wir besser atmen können. Und je freier man atmet, je mehr lebt man!« Hoftaller deutete mit kurzfingrigen Händen Beifall an: Seine Zigarre gab Rauchsignale. »Kenn ich, Fonty. Originalton Pfarrer Lorenzen. ›Demokratische Weltanschauung‹, hat er der schönen Melusine vorgesäuselt. Daß ich nicht lache.
    Ne Schummelpackung, nur neue gegen alte Zwänge getauscht, das ist alles, was sicher sein wird …«
»Und doch kommt zuallererst einmal Freiheit. Rieche sie förmlich, hat Raubtiergeruch. Gewiß, war schon immer gefährlich, und nichts war mir lächerlicher als Liberale, diese ewigen Freiheitshuber. Aber diesmal ist es anders. Mit der Freiheit wird’s offen nach allen Seiten. Zweifelsohne: Die Welt lädt uns mit ihrem Lockfinger ein. Die schreckliche und einengende Zeit der ausgewählten Reisekader ist vorbei, die schöne Aussicht nicht mehr versperrt. Jawoll, Herr Kriminalkommissar Tallhover! Jawoll, Hoftaller! Jetzt, wo selbst Sie außer Dienst sein könnten, sollte Ihnen eine Reise, weiß nicht, wohin, verlockend sein. Italien, Griechenland! Reisen bildet! Was waren Sie eigentlich bis noch

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