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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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gehen,‹, lispelt er mit Leichenbittermiene. Kein Blechgeld mehr soll in den Taschen scheppern, mit harten Silberlingen dürfen wir Sprünge machen, nachdem uns das Reisefieber gepackt hat, Sprünge, wer weiß, wohin. Jedenfalls guckt dieser de Maizière calvinistisch genug, um gut fürs Pekuniäre zu sein. Und meine Emilie, die es immer schon mit dem Rechnen hatte und selbst während der Sommerfrische den Spargroschen hütete, hat beim Wählen das Kreuzchen prompt an der richtigen Stelle … Während mir jeglicher Wahlkrempel … Aber das kenn ich von Kindesbeinen an … Diese Sechserwirtschaft … Diese Knapserei … Wurde anno sechsunddreißig im Mai, gleich nach Abgang von der Gewerbeschule, in der französischreformierten Kirche in der Klosterstraße eingesegnet und gleichfalls dort meiner Emilie nach viel zu langer Verlobungszeit angetraut. Weil immer das Geld und die feste Anstellung fehlte. Nein, war kein Kirchengänger, glaube aber immer noch calvinistisch: Alles ist Gnade. Erziehung hin oder her, ohne Gnadenwahl wird nichts. Wie schon mein sonst labiler Holk in ›Unwiederbringlich‹ sagt: ›In diesem Stück, so gut lutherisch ich sonst bin, steh ich zu Calvin!‹ Und genau das wird unser de Maizière sagen, wenn er in Bonn antanzen und sich in all seiner Armseligkeit neben die dröhnend regierende Masse stellen muß. Man hat es oder hat es nicht, nämlich das Geld wie die Gnade, von denen ich mir, wenn’s denn zum Umtausch kommt, eine kleine größere Reise verspreche: Weiß schon, wohin … Will wegtauchen, auch wenn sich Emilie wieder zu Tränen versteigt und Metes schwache Nerven, die sie von mir hat … Doch ohne Abschiedsepistel wird schlecht reisen sein … Muß ja nicht alles aufs Papier … Jedenfalls ist Brief hinterlassen besser als vorher lange reden …« Dann stand Theo Wuttke, den alle Fonty nannten, nur noch stumm vor dem Doppelgrab, dessen Einfassung kürzlich mit einem Sandsteinsockel und umlaufendem Eisengestänge aufgebessert worden war. Links und rechts vorm Stein standen je eine frischgepflanzte Eibe. Und genauso schlicht wie der Stein des Unsterblichen und seiner Emilie sagten beiderseits die Anschlußgräber ihre Namen auf: Links ruhte ohne Spruch Gerhard Baillieu; unterm rechten Stein lag Georg MindePouet. Viel aufwendiger wirkte in der davorliegenden Grabreihe ein mannshoher Obelisk, auf dessen polierter Fläche dankbare Schüler ihres Lehrers A.
F. Arends und der nach ihm benannten Stenographiemethode gedachten; sogar ein stenographisches Kürzel stand dem Stein eingemeißelt.
Fonty blickte über die Gräber hinweg. Hinter einem nach Westen hin abgrenzenden Eisenzaun war auf wüstem Gelände noch immer der Todesstreifen, die Mauer zu ahnen. Eine Gedankenflucht lang standen ihm rückläufig datierte Friedhofsbesuche vor Augen. Damals, als er mit Sondergenehmigung und gestempelter Grabkarte hier gestanden hatte, als bei der Bahnbrücke noch der Wachturm ragte, als Doppelposten die Friedhofsruhe bewachten und auf Flüchtende scharf geschossen wurde, als das Grab des Unsterblichen nur selten Besuch erlebte, als Ost und West sich mittels Lautsprechern bekriegten, als drüben Feindesland war.
Wir vom Archiv könnten aus eigener Erfahrung ergänzen, denn auch wir mußten zum Alexanderplatz und beim Magistrat von Groß-Berlin, Abteilung Inneres Abteilung Kirchenfragen, immer aufs neue Anträge auf Grabkarten stellen. Eigentlich waren nur Verwandte ersten Grades auf Friedhöfen im Grenzgebiet zugelassen. Doch wie Fonty, dank Fürsprache seiner Bezugsperson, Sondererlaubnis erhielt, stand dem Archiv jeweils an Geburtstagen und zum Todesdatum der Friedhof der französischen Domgemeinde offen. Gleichfalls könnten wir Fontys Selbstrede vorm Doppelgrab mit Einschüben anreichern, etwa durch Hinweise auf den Alexis-Aufsatz des Unsterblichen, in dem das Hugenottische in aller Breite Zitate hergibt; doch Theo Wuttke blieb nicht lange genug. Mit seiner Rede fertig, wandte er sich ab und ging, nun wieder mit Hut, auf Sandwegen an den gereihten Gräbern vorbei. In straffer Haltung und ohne Umweg überquerte er den angrenzenden katholischen Friedhof der St.-Hedwigs-Gemeinde, hatte keinen Blick für dessen noch immer von einem intakten Stück Mauer begrenzte Flanke, übersah die Reihe namenloser Nonnengräber, war schließlich in Eile und wie auf der Flucht, denn inzwischen hatte es sommerlich warm zu regnen begonnen. Gut, daß am Friedhofseingang Pflugstraße jemand mit aufgeklapptem Regenschirm

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