Ein weites Feld
auftauchen, finanziert werden. Das Calvinistische habe schon immer dem Geld nahegestanden; doch er habe diese Nähe zum Mammon nie ausleben dürfen, so doppelt hugenottischer Herkunft der Unsterbliche gewesen sei. Dem Archiv wurde versichert: »Zwar wird uns dieser de Maizière verkaufen, doch nicht unter Preis.«
Solche Spekulationen mögen Fonty bewegt haben, als er im Norden Berlins den Friedhof der französischreformierten Domgemeinde nahe dem ehemaligen Grenzübergang Chausseestraße besuchte. Diese Anlage und auch der Friedhofsanteil der katholischen St.Hedwigs-Gemeinde grenzten zur Liesenstraße hin an den planierten Todesstreifen und die umlaufende Mauer, weshalb der gesamte Friedhof ab 61 zum Grenzbezirk erklärt worden war und bis 85 nur mit Sondergenehmigung betreten werden durfte; ein Vorzug, den man selbst Fonty nur selten bescheinigt hatte. Doch nun stand der Zugang Pflugstraße zu allen Gräbern offen. Weil die U-Bahnlinie 6 noch nicht in Betrieb war, kam er mit der Straßenbahn, deren Endstation »Stadion der Weltjugend« hieß. Es war ihm gelungen, sich auf Zeit von seinem Tagundnachtschatten zu lösen. Die restlichen Junitage standen bevor. Das Wetter konnte als wechselhaft eingeschätzt werden, meinte es aber gut mit dem Friedhofsbesucher. Im Sandboden der Wege waren die Pfützen des letzten Regengusses versickert. Fonty kam ohne Blumen. Seine früher so oft durch Behördenkram erschwerte Anwesenheit mußte genügen. Des Geländes kundig, schritt er unter leichtem Hut und mit Bambusstock an schlichten Grabmälern vorbei, die sich im Gegensatz zur katholisch benachbarten Spruchfreudigkeit einsilbig gaben: nur Daten und Namen wie Delorme, Charlet, Marzellier. Kurz zögerte er vor einem hellroten Granitobelisken, auf dem Keilschrift die Namen einiger im Krieg 70/71 für Preußen-Deutschland gefallener Soldaten hugenottischer Herkunft reihte: Reclam, Bonnin, Harnier, Hugo, Sarre … Und dann stand Fonty vorm Grabstein jenes Mannes, dessen später Ruhm mit dem Begriff Unsterblichkeit einherging und dem er bis ins Äußere nachlebte; sogar des Vorläufers leicht herbeizuzitierende Nervenschwäche brachte er mit, die allerdings durch Haltung wettgemacht wurde. Genauer gesagt: er stand vor einem restaurierten Grabstein. Seit Beginn des Jahrhunderts waren es zwei Efeuhügel und zwei schlichte, oben flach abgerundete Granitsteine gewesen, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, als die Schlacht um Berlin keinen Flecken aussparte, zerstört und beschädigt wurden: Eine Artilleriegranate großdeutscher oder sowjetrussischer Herkunft zertrümmerte den Granit des Unsterblichen ganz und brach dem Stein seiner Frau Emilie ein Stück der Oberkante weg. Desgleichen wurden die um das Doppelgrab gesetzten und mit einer Kette verbundenen gußeisernen Pfosten umgelegt und später von Metalldieben abgeräumt. Der in den Nachkriegsjahren aufgestellte Stein, vor dem Fonty mit leicht zitterndem Schnauzbart stand und sich nun an den doppelten Granit und die zwei Hügel erinnern mochte, war weniger schlicht, aber von herkömmlicher Machart: Bis auf die Schriftfläche, die in der Tiefe graugestockt alle erhaben stehenden Buchstaben und Zahlen betonte, glänzte die Vorderseite des an den Rändern kunstvoll grob gebrochenen Granits, mitsamt der Inschrift, auf Hochglanz poliert. Ein hochkant stehender Stein, der die Anordnung der Namen untereinander gebot. Über Emilie, der geborenen Rouanet-Kummer, die am 18. Februar 1902 gestorben war, stand unter dem Namen und Geburtsdatum des Unsterblichen dessen Todesdatum: der 20. September 1898. »Bald werden runde hundert Jahre zu feiern sein«, haben wir oft genug Fonty und uns versichert. »Das Archiv bereitet sich jetzt schon vor; dank kollektiver Bemühung soll etwas Besonderes zwischen Buchdeckel kommen.« Mit gezogenem Hut stand er stumm vor dem Stein, doch hätte sich seine innere Rede durchaus als halblautes Geplauder mitteilen können. Zwei welke Kränze mit vom Wetter zermürbten Kranzschleifen gaben Stichworte genug her. Beide Kränze erinnerten an den letzten, den siebzigsten Geburtstag, den Fonty, wenn auch in beklemmender Gesellschaft, bei McDonald’s gefeiert hatte. Auf der Schleife des übrigens vom Archiv gestifteten Kranzes stand, immer noch leserlich, daß der 30. Dezember 1989 »Dem großen Humanisten« gewidmet sein solle; der andere Kranz kam vom Hugenottenmuseum. Soviel Gedenken trotz unruhiger Zeit. Soviel Vorschuß auf weitere Unsterblichkeit.
Fonty bewies sein
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