Ein weites Feld
jemand mit einer Brasil gesehen.
Wie schon Tallhover von seinem Biographen als Zigarilloraucher beschrieben wird, so können wir Hoftaller als Zigarrenraucher bestätigen: Wiederholt ist er mit Castros Markenzeichen ins Archiv gekommen, demonstrativ paffend, als wollte er uns die internationale Reichweite seiner Beziehungen beweisen. Soviel Qualm wäre dafür nicht nötig gewesen. Wir vermuteten ohnehin Dienstreisen, die ihn, wenn nicht ins kapitalistische, dann ins befreundete Ausland, warum nicht nach Kuba geführt hatten. Als sich einer unserer Kollegen im Gespräch mit ihm als gelegentlicher Konsument von Handgewickelten zu erkennen gab, spielte Hoftaller den Großzügigen; und selbstverständlich wagte es unser Kollege nicht, die Rarität auszuschlagen. Nun aber war die Zeit der Privilegien vorbei. Anlaß zur Sorge bestand. Demnächst sollte es mit den feinduftenden Kisten zu Ende gehen. Durch radikalen Währungsschnitt drohte eine Zulieferung gekappt zu werden, die vom freien Markt des Westens durch Handelsboykott verbannt war; kein Wunder, daß Hoftaller dieser Gefahr zuvorkommen wollte. Begleitet von Fonty, der seine Einkäufe Waschpulver und Sonnenblumenöl – hinter sich hatte, suchte er nahe dem Bahnhof Lichtenberg in der Weitlingstraße ein Tabakwarengeschäft auf, um dort letzte Bestände zu sichern. Fonty sprach später von einem Panikkauf. Als Nichtraucher stand er wie abwesend und mußte doch sehen, wie mit einem Bündel Ostgeld - er sagte: »Zwei satte Monatsgehälter« – der offenbar privat geführte Laden leergekauft wurde. Außer Rauchwaren gehörten Zeitungen, nun aus Gesamtberlin, zum Angebot. Hoftallers Ausbeute bestand aus drei Kisten »Romeo y Julieta« und zwei Kisten voller überlanger Zigarren der Marke ›Joya de Nicaragua«. Fonty kaufte die ihm seit Jahren gewohnte »Wochenpost« und den Westberliner »Tagesspiegel«. Während der Raucher zahlte und dabei ein feierliches Gesicht schnitt, las der Nichtraucher unter der Überschrift »Das neue Geld kommt über Nacht« die Ankündigung vom Ende der Ausverkaufswährung. Als Datum stand der 1. Juli fest. Ab Montag, dem 2., sollte nur noch die harte Mark Geltung haben. Zwar hatte der östliche Finanzminister, ein Sozialdemokrat namens Romberg, ängstlich Bedenken geäußert, doch dann tapfer den Staatsvertrag unterschrieben. Indem Fonty Einzelheiten überflog, machte er sich mit gestaffelten Umtauschsätzen vertraut. Schließlich mußte das dem Haubentaucher abgeguckte Prinzip finanziert werden. Er rechnete sich insgeheim sein Sparkassenguthaben aus und kam zu einem Ergebnis, das Hoffnung machte: Bis zum 1. Juli – Tag X genannt – blieb noch gut eine Woche Zeit.
Draußen war alles wieder normal. Die Weitlingstraße grau in grau, zwei alte Männer als Pflastertreter. Sie plauderten über ihre Einkäufe, bis sie im Innern des Bahnhofs vor einem Imbiß- und Getränkestand unschlüssig zögerten. Über Berlin-Lichtenberg lief Fernverkehr, zum Beispiel von Leipzig nach Stralsund und weiter nach Saßnitz auf Rügen, von wo aus die Fähre nach Schweden ging. Seiner Zigarrenvorräte sicher, lud Hoftaller zu Bockwurst und Bier ein. Er gab sich gutgelaunt und behauptete, glücklich zu sein. Sie standen an einem Tisch, dessen Platte von Mostrich- und Ketchupschlieren marmoriert war. Des frühsommerlichen Wetters wegen trugen beide weder Hut noch Mantel; allerdings hatte sich Hoftaller mit einer Neuanschaffung bedeckt: Die Kappe mit durchsichtigem Schirm war von amerikanischem Zuschnitt, desgleichen ein auf breiten Streifen geblümtes Hemd. Annähernd westlich gekleidet, gab er zu verstehen, daß es jetzt darauf ankommen werde, die Zeichen der neuen Zeit zu begreifen. Doch Theo Wuttke wollte Fonty sein: Auch sommers trug er den historischen Shawl doppelt um den Hals geschlungen; zudem zog es in der Bahnhofshalle.
Kaum war seine Bockwurst weg, holte Hoftaller wie zum Monolog aus. Das heißt, noch bevor er sich an einen Auf trag Tallhovers erinnerte, der einem verplombten Spezialzug von Zürich nach Saßnitz und dessen Mitreisenden galt, unter ihnen ein gewisser Lenin, der auf Wunsch der kaiserlichen Reichsregierung die Revolution nach Rußland bringen und so den Feind an der Ostfront schwächen sollte, griff er in seine Einkaufstüte und öffnete eine der Zigarrenkisten. Laut Tallhovers Biograph durchquerte der Sonderzug von Zürich über Gottmadingen kommend mit Zwischenhalt in Mannheim, Frankfurt und Berlin das Deutsche Reich. Das war im März
Weitere Kostenlose Bücher