Ein weites Feld
Zahlengedächtnis. Da er allein stand und nur entfernt einige Friedhofsbesucher mit Harke und Gießkännchen tätig waren, lobte er laut des vierten französischen Heinrichs Edikt von Nantes -»Das war anno 1598« –, um dann Brandenburgs Kurfürsten Friedrich Wilhelm zu rühmen, der die Aufhebung des Edikts durch Frankreichs vierzehnten Ludwig – »Das war anno 1685« – sogleich mit einem Toleranzedikt beantwortet hatte. Mühelos konnte Fonty daraus zitieren: »Unseren wegen der heiligen Evangelii und dessen reiner Lehre angefochtenen und bedrängten Glaubens-Genossen mittels dieses von Uns eigenhändig unterschriebenen Edicts eine sichere und freye retraite in alle Unsere Lande und Provinzen in Gnaden zu offerieren …« Er sagte noch weitere feierliche Versprechungen wie ein Gedicht auf; und gar nicht verwunderlich ist es, daß Fonty zwischen den fünftausend »réfugiés«, die sich infolge der angebotenen Toleranz zwischen knapp zehntausend märkischen Berlinern ansiedelten, direkte Vorfahren fand und herbeirief, unter ihnen einige der Emilie RouanetKummer: »Ohne uns Kolonisten und, zugegeben, die Schlacht von Fehrbellin, als die Schweden eins aufs Haupt bekamen, wäre wohl nichts aus Preußen geworden. Habe deshalb immer das hugenottische Herkommen gegen das dumpfe Borussentum gestellt. Will davon nicht lassen. Meine Ahnenwiege hat im Languedoc und in der Gascogne gestanden.
War doch der Vater ein Gascogner wie aus dem Buche: voll Bonhomie, dabei Phantast … Wie man auch mir gelegentliche Gasconnaden nachsagt: stets auf dem Sprung, über den Zaun und weg, abtauchen einfach … Dabei nicht ohne Renommiergehabe, trotz leeren Beutels … Jadoch, hier stehe ich vor diesem nachgemachten Stein, sehe verwelkte Kränze und dauerhaft seßhaften Efeu, bin aber dennoch reisefertig, weil ich die Gascogne im Rücken wie vor mir habe … oder woanders hin: schottische Hochmoore, blauschwarze Seen, jenseits des Tweed … Was Wunder, daß ich im Schreiben wie im Reden ein Causeur, ein Plauderer höchsten Grades geblieben bin, so daß mir bei meinen Vortragsreisen für den Kulturbund eine Gemeinde geneigter Zuhörer sicher gewesen ist. Und schon als junger Dachs und Luftwaffengefreiter habe ich in Domrémy vor hochrangigen Offizieren aus dem Stegreif über Jeanne d’Arc und ihr literarisches Fortleben plaudern können … Lächerlich deshalb und empörend zudem, daß mich Julius Hart, einer dieser hyperklugen Kritiker der neuen Schule, die sich jemanden auf die Nadel spießen, ihn betrachten und dann niederschreiben, einen ›Stockphilister mit einem Ladestock im Rücken‹ geschimpft hat. Mich, der ich mit Maria Stuart zu Bett gegangen und mit Archibald Douglas aufgestanden bin, mich, den meine eigenste französische Natur immer noch anstiftet … Die Labrys aus meiner Mutter Familie hatten alle mit der Strumpfwirkerei, mit Seidenraupenzucht, überhaupt mit Seide zu tun. Erst mein Großvater Pierre Barthélemy brachte das Künstlerische ein und war sogar Zeichenlehrer der Königskinder. Und später wurde er Kabinettssekretär der Königin Luise, weshalb ich mir im Tiergarten häufig eine Bank mit Blick auf ihr Denkmal suche. Alle meines Namens gehörten der französischen Kolonie an, wie einige meiner literarischen Weibsbilder: in ›Schach‹ Josephine von Carayon nebst unansehnlicher Tochter. Und den Treibels gegenüber betont sogar Corinna Hugenottisches, auch wenn sie Schmidt heißt. Übrigens war Melanie van der Straaten schweizerisch-calvinistischer Herkunft, suchte aber nur stimmungshalber Kirchen auf; wie ja auch mir, bei aller Verpflichtung der Kolonie gegenüber, alles organisiert Religiöse kolossal suspekt … Und mir zweifelsohne ein gewisses Heidentum … Jedenfalls wurde zu Haus – was manchmal ein bißchen albern war, fanden wir Kinder - unser Name immer mit Betonung der ersten Silbe, bei Verschlucken des abschließenden e, und von Papa sogar, besonders an Sonn- und Feiertagen, wenn Swinemündes Honoratioren zu Besuch kamen, mit Nasallaut ausgesprochen. Dabei hatte keiner, der zur Kolonie gehörte, etwas apart Pariserisches an sich, vielmehr waren alle von puritanischer Statur, steif, ernsthaft, ehrpusselig, na, wie diese Kirchenmaus de Maizière, ein Kerlchen, das nun, so mickrig es guckt, Ministerpräsident geworden ist, damit er, so rausgeputzt wie brav an der Leine gehalten, den abgetakelten Arbeiter- und Bauern-Staat in die Einheit überführt. ›Soll keinem schlechter und einigen sogar besser
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