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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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auf ihn wartete. Wie nach Absprache war Hoftaller zur Stelle. Er sagte: »Wollte nicht stören. Und zwar der Gedanken wegen, die man sich auf Friedhöfen macht. Kenne das. Ne kurze Besinnung ist ab und zu fällig. Zumindest vor Gräbern will man für sich sein.« Dann nahm er Fonty unter den Schirm, der weit genug für beide spannte. Zwischen Mietshäusern, denen der Putz wie eine gelbgraue Uniform angepaßt war, gingen sie unter schräg einfallender Regenschraffur in Richtung Schwartzkopffstraße. Deren Verlauf war linker Hand noch immer gesperrt: Nur eine westliche Kirchturmspitze überragte das vergessene oder für Filmzwecke konservierte Stück Mauer. Doch zur Chausseestraße hin stand alles offen. Nach Süden, wo keine Regenwolken den Himmel über der Stadt niedrig machten, wuchs ein hoher Schornstein, der von einem Fernheizwerk gefüttert wurde und mit weißem Rauch die sommerliche Bläue wattierte. In perspektivischem Verlauf rahmten Mietshauskasernen einen Bildausschnitt, zu dem im Vordergrund die an der Endstation stehende Straßenbahn gehörte. Unter dem Schirm gingen die beiden Männer auf das himmelhohe Rauchsignal zu. Dann stiegen sie in die Straßenbahn, denn die Linie U6, die heutzutage zwischen Alt-Tegel und Alt-Mariendorf verkehrt, wurde erst gegen Ende des Einheitsjahres in Betrieb genommen.

8 Für hartes Geld auf Märchenreise
    Wären drei Wünsche offen gewesen, könnten wir unsere Erzählung im Ton umstimmen: Es war einmal ein Aktenbote, der hieß Theo Wuttke, der wollte sich dünnemachen, denn endlich war es soweit. Tatsächlich fand am 1. Juli der Tag X statt. Kein leeres Versprechen stand auf der Tagesordnung, vielmehr wurde das Heißersehnte abrufbar, sofort und laut Staatsvertrag. Weil der regierenden Masse nicht einfallen wollte, wie die Landeslast anders hätte geschultert und einheitlich balanciert werden können, mußte Geld den fehlenden Gedanken ersetzen. Das war da – nur Geld war da, Geld für den ersten Wunsch. Und überall, in zehntausend und mehr Bankfilialen, Sparkassen, Postämtern und Sonderauszahlungsstellen wurde taufrisch die erste Milliarde hingeblättert. Die Bundesbank sorgte dafür, daß im monetären Beitrittsgebiet, dem auf Schrottwert herabgestuften Arbeiter- und Bauern-Staat, kein Nest ohne Umtauschschalter blieb. Auf Rügen, in der Altmark und Uckermark, an Vorpommerns Küste, zwischen Mecklenburgs Seen und Wasserlöchern, in Brandenburg – Fontys Gegend um Friesack und Ruppin nicht zu vergessen –, in der sandigen Lausitz und auf den fetten Böden der Magdeburger Börde, im Oderbruch und an Neiße und Elbe entlang, zu Füßen des Thüringer Waldes und im Land der Sorben, soweit die sächsische Zunge trug, bis hoch ins Erzgebirge, auf dem katholischen Eichsfeld, wo jeweils Luther zu Wort gekommen war, im äußersten Zipfel des Vogtlandes und natürlich in der nun offenen Halbstadt Berlin, die sich auf Behördenpapier immer noch Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik nannte, überall dort, wo der erste deutsche Arbeiter- und Bauern-Staat vierzig Jahre lang seine stets zuversichtlichen Parolen Wind und Wetter ausgesetzt hatte, im Osten, in der aus Westsicht sowjetisch besetzten Zone, kurz SBZ genannt, im anderen. dem GänsefüßchenDeutschland, zog das erwünschte, herbeigewählte, nun endlich Härte verheißende Geld ein. Die erste Milliarde kam in bewachten Spezialwagen, deren Anfahrtswege geheim blieben. Gleich umsichtig wurden dann weitere vierundzwanzig Milliarden von West nach Ost geschaufelt und in Umlauf gebracht. Kaufwünsche konnten erfüllt, Träume in Tatsachen umgemünzt werden; diese Rechnung schien aufzugehen. Ach, wäre sie doch! All das viele Geld und noch viel mehr Geld – Geld war ja da; nur Geld war da – brachte nicht den ersehnten Wohlstand, sondern zog sich, nachdem es rasch Konsumgelüste gestillt hatte, eilig in den Westen zurück, wo es, samt abgeschöpftem Gewinn, wieder auf Bankkonten ansässig oder als Fluchtgeld in Luxemburg heimisch wurde; dabei hätte es rackern, schuften, hart arbeiten müssen, das Geld, es hätte wunder was wirken und nicht faul herumliegen dürfen, mit nichts als Zinsen im Sinn. Ach, wären doch weitere Wünsche offen gewesen. So aber war das Märchen bald aus. Überall blieb eine Jammerlücke, würgte ein Sorgenkloß. Nur ein alter Mann jammerte und würgte nicht; deshalb dürfen wir sagen: Es war einmal ein Aktenbote, der hieß Theo Wuttke. Dessen Wunsch stieß sich nicht am zu raschen

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