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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Stine von Mathilde verdeckt, Lene zwischen Corinna und der Witwe Pittelkow. Ein Frauenkränzchen, in dem jede ihren Fall aufs neue inszenierte, Grete Minde zum Beispiel die allzeit latente Gefahr einer Feuersbrunst. Natürlich sollte bei Jedem öffentlichen Auftritt das Verhältnis überlieferter Stoffe zum Sozialismus mitbehandelt werden. In jedem Vortrag mußte, selbst wenn es um Ehebruch und Duelle ging, vom Humanismus die Rede sein, und zwar vom fortschrittlichen. Als heikel erwies sich oftmals der Versuch, das Sozialdemokratische richtig, das hieß im Sinne der Einheitspartei zu gewichten, gleich ob es um den Rheinsberger Wahlsieger und Feilenhauer Torgelow oder um den »angebebelten« Junker Woldemar ging. Mehr noch als »Der Stechlin« gaben die späten Briefe Anspielungen auf die Arbeiterklasse oder – wie aus einem Brief an Friedlaender zitiert – »den vierten Stand« her. Das war leicht bis leichtfertig auf Linie zu bringen; hingegen stieß der in Hoyerswerda gehaltene Vortrag über die Zeitungspolemiken des jungen Apothekergehilfen gegen den »preußischen Polizeistaat« auf Ablehnung von oben, weil Vergleiche mit der Praxis der Volkspolizei allzu nahe lagen. Dieser Vortrag durfte nicht wiederholt werden. Gleiches widerfuhr einer längeren Vortragspassage, die sich auf des Apothekers Tunnelfreund Wilhelm von Merckel einließ; dessen zum Motto erhobener Reim »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten« mußte gestrichen werden, weil im Reiseplan für den Spätherbst 53 die Kulturbundhäuser in Merseburg, Bitterfeld und Hennigsdorf vorgemerkt standen. Und nach dem Einmarsch der sozialistischen Bruderländer in die CSSR durfte das Kriegsbuch des Unsterblichen über den Feldzug gegen Österreich und die Schlacht bei Königgrätz kein Thema sein, weil, nun ja, weil Böhmen schon immer zu nahe lag. Sogar des Pastors Lorenzen Sympathien für die christlich-sozialen Thesen des wilhelminischen Hofpredigers Stöcker galten als anrüchig und mußten entsprechend kommentiert werden. So viel Mühe landauf landab. Lauter Querelen und engstirnige Funktionäre, die nichts, aber alles besser wußten. Verbotsschilder vor jeder Ortschaft. Und doch überwogen freundliche Erinnerungen. Fonty hörte sich, während er in der Schlange Schritt für Schritt in Richtung Umtauschschalter vorrückte, wiederholt Vorträge ohne einschneidende Abstriche halten. Ein Knüller war sein Lieblingsvortrag »Wie sich der preußische Adel bei Tisch verplaudert« zwischen Ostsee und Riesengebirge gewesen. So etwas fand Publikum. Was Rex und Czako, Bülow und der junge Poggenpuhl zu schwadronieren hatten, hörte sich zwar fremdsprachig, doch unterhaltsam an und erlaubte, gegen Adelshochmut und bürgerliche Dekadenz vom Leder zu ziehen. Desgleichen war sein Ribbeck-Vortrag »Vom Junkertum zur LPG« ein Treffer. Neunzehnmal durfte er diesen Text ungekürzt, samt Birnenballade, vortragen. So war er zu Ersparnissen gekommen. Doch nie sind ihm von Hoftaller oder Tallhover Geldsummen zugesteckt worden, weder für seine milieubetonten Reiseberichte noch für jenen peinlichen Erguß, den er, laut Weisung, über des Unsterblichen Zusammenarbeit mit der Regierung Manteuffel in Potsdam und anderswo hatte vortragen müssen. Und selbstverständlich wurden angeforderte Portraitskizzen von Kulturfunktionären, die ihm auf Vortragsreisen bekannt wurden, ohne Entgelt geliefert; zumeist handelte es sich um beim Glas Wein geplauderte Nichtigkeiten und liebevoll ausgepinselte Schwächen von Lokalgrößen, sei es in Güstrow oder Wittstock. Und die Prämien? Die gab’s für besondere Leistungen, fürs Langjährige, für zwischen Rückfällen – bewiesene Linientreue. War ja auch mühsam, den Werktätigen in Guben oder Neubrandenburg, Senftenberg und Eisenhüttenstadt das handlungsarme und zudem verarmte Adelsmilieu der Poggenpuhls spannend aufzubereiten: »Sie alle – die Mutter freilich weniger – besaßen die schöne Gabe, nie zu klagen, waren lebensklug und rechneten gut, ohne daß sich bei diesem Rechnen etwas störend Berechnendes gezeigt hätte. Darin waren sich die drei Schwestern gleich, trotzdem ihre Charaktere sehr verschieden waren …«
    »Neinnein!« rief Fonty plötzlich laut. »Das ist alles sauer verdientes Geld!« Und alle, die vor und hinter ihm in der Schlange standen, stimmten zu, denn auch sie, die Frau mit Kleinkind vor ihm, der mürrische Bartträger hinter ihm, trugen ihr sauer Verdientes zum Umtauschschalter: »Man hat sich ganz schön

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