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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Kremsern, Fiakern …« Dazu Erinnerungen an Hotelzimmer, die Fonty sich sogleich ausreden wollte: »Weg mit dem abgetretenen Teppichfetzen, weg mit der tabakverqualmten Goldtapete, weg mit dem schäbigen Plüschsofa, weg …« Und doch schrieb er aus Thale: »Es geht mir hier gut, wie unberufen immer, wenn ich Berlin den Rücken kehre …« Und immer reiste er mit Arbeit beladen, gleich, wohin. Stets steckte Angefangenes im Gepäck, dazu Bücher gestapelt: »Las viel Lessing und Turgenjew abwechselnd. Gestern eine der Jägergeschichten. Er hat sowas von einem photographischen Apparat, ist aber die Muse in Sack und Asche, Apollo mit Zahnweh. Das Leben hat bei ihm einen Grinsezug …« Und in jeder Sommerfrische lag was quer, ließ Ärger nicht auf sich warten, kam Überdruß auf, machte irgendwer – hier die Christen, dort die Juden – böses Blut; das schlug sich in Briefen nieder: »Ich erschrak, wenn ich einen Christen sah – alle sahen vergleichsweise wie Wassersuppe aus. Die Juden, selbst die häßlichsten, haben doch wenigstens Gesichter …« Aber der Post aus Norderney stand wie eingebrannt geschrieben: »Fatal waren die Juden; und ihre frechen Gaunergesichter
    - denn in Gaunerei liegt ihre ganze Größe – drängen sich einem überall auf …« Erst später, und immer häufiger auf Kurreise denn in die Sommerfrische, trägt ihn die Eisenbahn über Dresden nach Karlsbad, wo es an Juden, mit denen sich plaudern ließ, nicht mangelte. »Noch vorgestern hatten wir das herkömmliche Goldschmidtsche Diner im Hotel Bristol: einige Friedebergs, Liebermanns und Magnus. Alle schwer reich, alle sehr liebenswürdig und sehr versiert. Das heißt, sie kannten ›alles‹. Mir fiel wieder mein Cohn-Gedicht ein …« Und gleichfalls bekam sein englischer Brieffreund, James Morris, aus Karlsbad Post: »… kann mir wieder die Häuser ansehen, wo der alte Goethe gewohnt, desgleichen auch die Hotels, wo die Kaiser und Könige in den Gott sei Dank verschwundenen Tagen der Polizeialliance, die in der Geschichte den anspruchsvollen Namen ›Heilige Alliance‹ führt, ihre Karlsbader Tage verbracht haben …« Als er aber per Eisenbahn nach Berlin zurück mußte, hatte die Kur nur wenig gebracht und suchte sein Mißvergnügen sich Feinde: »Hoffentlich hab ich ein judenfreies Abteil …«
    So überfüllt mit Erinnerung, bedrängt im Kopf und im Herzen, so böse hin- und hergerissen und doch mit sich einig, so nah der Nervenpleite und zugleich fernsüchtig heiter, so von uns offengelegt, stand Fonty auf dem Bahnsteig. Leicht gekleidet, als wollte er wieder einmal in die Sommerfrische, wartete er. Nur sein alter Reisekoffer, ein mittelgroßes Gepäckstück, mit dem er im Dienst des Kulturbunds den Arbeiter- und Bauern-Staat bereist hatte, stand neben ihm, als mit der Diesellok voran der Zug nach Hamburg -nächster Halt Bahnhof Zoologischer Garten – einfuhr und nicht mehr nur märchenhaft, sondern tatsächlich zum Stillstand kam: Es war einmal ein D-Zug … In einem Abteil zweiter Klasse nahm er Platz: am Fenster, in Fahrtrichtung. Bis kurz vor der Abfahrt blieb er allein, saß ruhig, bei leicht zitternden Schnurrbartspitzen. Dann nahm eine Frau, wenig jünger als er, ihm gegenüber Platz. Fonty hatte den Koffer auf den Gepäckträger geschoben und die Plastiktüte neben sich gestellt. Die alte Frau sah verweint oder verschnupft aus und ruckte mit dem Kopf unterm Hut. Nur um sich seiner Reiselektüre zu versichern, griff er in die Plastiktüte mit KaDeWeAufdruck und ertastete neben dem »Tagesspiegel« den Schmöker des märkischen Grafen Marwitz, der als Modell für den Grafen Vitzewitz hatte stillhalten müssen. Ihm gegenüber klammerte die verhuschte Alte ihre unförmig große Reisetasche, von der sie nicht lassen wollte. »Marwitz ist mir immer förderlich und haltungsmäßig beispielhaft gewesen«, hatte er die Prenzlberger Jungautoren belehrt. »Ein Preuße alter Schule, konservativfortschrittlich, königstreu, doch notfalls zum Ungehorsam bereit, wie mein Vitzewitz im ersten, allzu lange hinausgezögerten Roman …« Aus schwarzschuppigem Leder war die Reisetasche der Alten. »Beinahe sechzig bin ich damals gewesen, als mich der Streit im Senat der Akademie der Künste endlich nach wenigen Monaten Mühsal frei gemacht hat, zum Atmen frei, zum Schreiben frei …« Gluckte auf ihren Knien, die schwarzgeschuppte Tasche, deren Rundbügel flach anlagen. »Keine Protokolle und Intrigen mehr. Als freiem Schriftsteller ist mir

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