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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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rundgepolsterten Knie. Die vielen Sommersprossen auf hellbeflaumten Unterarmen. Überall zeigte er alterslos rosiges Fleisch. Diese Freizeitkleidung, zu der neue und vielfarbige Joggingschuhe gehörten, hinderte Hoftaller nicht, sich wortlos und umständlich eine Romeo y Julieta anzuzünden. Konzentriert und entspannt zugleich blickte er dem Rauch nach. Nun sah Fonty den Teich leicht verschleiert. Beide saßen im Halbschatten. Hinter ihnen war der Holunder grün. Ab und zu gingen Einzelpersonen, Paare und türkische Mütter mit Kindern vorbei. Kaum Vogelstimmen. Stille, Insektengesumm und taumelig zwei Kohlweißlinge. Sie hätten lange so wortlos sitzen können, weil alle Geheimnisse ausgeplaudert und jeder Verdacht schon benannt war. Erst nachdem der Raucher in Kniehosen seiner Zigarre die Asche abgeklopft hatte, kam Hoftaller zur Sache: »Hat sich zusammengeläppert, was, Fonty? Vermute ein kleines Vermögen auf Ihrem Konto. Verlockend solch Minireichtum. Aber wir machen trotzdem nichts Unüberlegtes. Das haben wir hinter uns, was? Überstürzte Aufbrüche, Flucht aus allen Zwängen und Bindungen! Wie etwa damals, anno fünfzig, die hastige Abreise nach Schleswig-Holstein meerumschlungen, wo gegen die Dänen im besonderen und gegen die Unterdrückung der Freiheit im allgemeinen mit blanker Waffe gekämpft werden sollte. Ne Heldennummer wie diese ist uns heute allenfalls lächerlich. Wurde ja auch nix draus. War ne Pleite wie beim achtundvierziger März, hah, das Glockengeläute! Doch kaum war das bißchen Revoluzzertum ausgelebt, sollte ›Amerika, du hast es besser‹ den ausgepowerten Emigranten aufnehmen. Und wenn ich an all die anderen Ausbrüche denke. Flucht ohne Rücksicht auf Frau und Kind. Ab und davon. Einfach die Kurve kratzen. Hat mich oft traurig gemacht. War verantwortungslos!« Fonty schwieg. Der Zigarrenraucher gab in gleichmäßigen Abständen Rauch frei. Wie aus der Zeit gefallen: zwei alte Männer. Von dazumal übriggeblieben, sahen sie dem Betrieb auf dem Teich zu, sahen Schwäne, verschieden gefiederte Enten, sahen den Haubentaucher und hatten dennoch mehr im Blick, als dem Teich anzusehen war. Ein windstiller Tag. Wenn Hoftaller seine Zigarre zwischen zwei Fingern ruhen ließ, stieg der Rauch senkrecht. Fonty tastete nicht mehr die Schwellung seiner Jackentasche ab. Einmal raschelte hinter ihnen irgendwas im Holundergebüsch, vielleicht ein Kaninchen. Und einmal flog ein Schwan auf, um nach wenigen Flügelschlägen wieder und wie gemalt dem Teich anzugehören. »War nur ne kurze Sensation«, sagte Hoftaller und sorgte sich nach einigen Seufzern: »Nicht wahr, Fonty? Wir bleiben besonnen – oder? Diesmal werden keine Dummheiten gemacht wie sechsundsiebzig, als Sie den ›Kulturkrempel‹, wie das bei Ihnen hieß, einfach hingeschmissen haben. Seitdem Sendepause. Keine Vorträge mehr. Und ich hatte alle Mühe …« Bevor sie gingen, stellten sich beide an den Ufersaum, doch nicht, um Enten zu füttern. Mit dem Blechgeld der abgewerteten Währung versuchte sich Hoftaller, dem einige Münzen in der Tasche schepperten, an einem Kinderspiel. Wie man flache Steine mit geübtem Wurf im Dreisprung, ja, Fünfersprung übers Wasser schicken kann, sollte geworfenes Münzgeld springen. Doch kein Wurf glückte. Selbst zum Spiel taugte die Leichtwährung nicht. Auch Fonty blieb, zum Wurf aufgefordert, ohne Erfolg: Mit dem restlichen Blechgeld waren keine Sprünge zu machen.
    Nun aber könnte das Märchen beginnen. Endlich dürfen wir sagen: Es war einmal ein Bahnsteig, auf dem es nicht mehr nach stehendem Rauch roch, auf dessen Gleisen keine stöhnenden und auf der Stelle tretenden BorsigLokomotiven auf das Abfahrtssignal warteten. Vorbei waren die Jahre, in denen die Dampfkesselkraft alles, sogar die Zeit beschleunigte. »Seitdem wir die Eisenbahn haben«, sagte der alte Stechlin, »taugen die Pferde nichts mehr …« Und Fonty erinnerte sich an Abfahrten mit Frau und Tochter nach Thale am Harz, wo später die kränkelnde Cécile an St. Arnauds Arm im Hotel »Zehnpfund« abstieg. Oder an beschwerliche Eisenbahnreisen ins Riesengebirge, wo Friedlaender Amtsrichter war. Kein Jahr ohne Sommerfrische. Und was den Sommerfrischler erwartete, stand irgendwo gedruckt, weil geschrieben: »Vielfach reine Wegelagerei. Wirte, Mietkutscher überbieten sich in Gewinnsucht und Rücksichtslosigkeit … Der Zug hält. Es ist sieben Uhr abends. Jenseits des Schienenstranges steht die übliche Wagenburg von Omnibussen,

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