Ein weites Feld
gab ihm dann zu verstehen, daß es schofel sei, in solch schweren Zeiten Frau und Kinder im Stich zu lassen. Erinnerte ihn an Marthas bevorstehende Hochzeit, sagte: ›Vielleicht kommen sogar die Herren Söhne und wollen mitfeiern. Endlich ist Schluß mit dem ollen Familienstreit. Friedel kommt bestimmt und womöglich auch Theo aus Bonn. Ihre Emmi wird sich freuen, nach so vielen Jahren. Leider kann Georg, ihr Liebling, nicht mehr …‹ Und dann holte ich aus und packte ihn mit ner an sich verjährten Aktenlage: ›Wenn ich an Ihre Englandreisen denke. Herrgott! Was hat Ihre schwangere Emilie alles aushalten, dank Ihrer Eskapaden ertragen müssen. Kaum geboren, starb ihr das Kind weg, während Sie in London weiß nicht was alles trieben. In Hafenspelunken … Bei Nutten womöglich … Und als sie Ihnen mit zwei Kindern am Bein nachreiste, hat sie unter ’english people’ und unterm Klima gelitten … Immerzu Nebel … Immerzu Heimweh …‹« Hoftaller gab sich entrüstet, als er uns, »die Mitverantwortlichen«, wie aus überlieferter Pflicht informierte: ›Jedenfalls hab ich unserem Fonty nichts ersparen können. Doch Reaktion keine. Außer uns nur ne alte Frau im Abteil. Aber die störte nicht. Ich redete, er blieb stumm. Bis zum Bahnhof Zoo stumm. Er wird sich gesagt haben: Was gestern war, zählt heut nicht mehr. Heute herrscht Freiheit. Jedenfalls kam es zu ner Kraftprobe. Da der Zug nach Hamburg erst nach nein zehnminütigen Zwischenhalt weiter sollte, glaubte er Bedenkzeit zu haben, blieb sitzen, nutzte die Zeitspanne und dachte sich, ich hätt mir nen Bluff ausgedacht, na, mit Schottland und ich als ne Art Reisebegleiter. Ich schlug die ›Berliner Zeitung‹ auf, er seinen ›Tagesspiegel‹. Ich las ihm was aus dem Feuilleton vor, das sich mit dem Prenzlauer Berg und ein paar mutmaßlichen Informanten befaßte. Er las weiter, und zwar im Wirtschaftsteil. Muß zugeben, daß mich seine Ruhe zu nerven begann. Er interessierte sich sogar für Börsennotierungen und unterstrich mit nein Bleistift Aktienwerte. Schon wollte ich, obgleich wir in nein Nichtraucherabteil saßen und zwei jüngere Frauen zugestiegen waren, demonstrativ nach ner Zigarre greifen, beklopfte auch schon ein Exemplar aus meinem kubanischen Vorrat, da stand er auf, ließ die Zeitung liegen, griff zum Hut, hob den Koffer vom Gepäckträger, hatte in der anderen Hand ne Plastiktüte, verbeugte sich knapp vor den jungen und ziemlich aufgetakelten Frauen, dann vor der alten Frau und sagte, schon in der Abteiltür, mir direkt ins Gesicht: ›Hier ist, wie Sie bemerkt haben sollten, nur für Nichtraucher Platz. Und wenn Sie schon auf die Damen keine Rücksicht nehmen wollen, dann, bitte, auf das arme Huhn da. ›Schrecklich!‹ Er wies mit zittrigem Finger auf die schwarze Tasche der Alten am Fenster und flüsterte, nur für mich bestimmt: ›Effi fürchtet sich vor dem Huhn. Das Huhn macht ihr angst.‹ Mußte mich höllisch beeilen, denn kaum war ich hinter ihm raus, fuhr der Zug ab. Erst auf der Treppe zu den Bahnhofshallen konnte ich mich bedanken: ›Find ich prima, Fonty, daß Sie immer wieder zur Vernunft kommen, wenn es manchmal auch dauert und dauert.‹«
Hoftaller hat ihn eingeladen. Beide haben mit ihrem Reisegepäck ganz in der Nähe des Bahnhofs einen Imbiß zu sich genommen, schräg gegenüber natürlich. Diesmal bestand Hoftaller auf McDonald’s. Zu Cola und Milchshake hat jeder einen Cheeseburger verzehrt, dazu eine Portion Pommes frites. Um beide herum war viel jugendliches Publikum dabei, sich schnell abzufüttern. Sie standen an einem Stehtisch dem Tresen gegenüber und hatten ihre Koffer einträchtig zu Füßen. Viel gab es nicht mehr zu sagen. Hoftaller versicherte, er werde sich um die Rückerstattung der Reisekosten bemühen: »Darf ich mal Ihr Ticket sehen, Bahn und Schiff?« Fonty lieferte alles ab, aber den neuen Reisepaß nicht. Sein Tagundnachtschatten gab sich erstaunt: »Was sehe ich da: Nur die Hinreise ist bezahlt. Ganz schön teuer. Na, rund zehn Prozent davon können Sie jetzt schon in den Wind schreiben.« Trotzdem hat Hoftaller aus Fontys geplanter Reise ohne Wiederkehr keine große Geschichte gemacht. Wie später uns gegenüber, sprach er zu dem Aktenboten Theo Wuttke nur andeutungsweise bedrohlich: »Werde sehen, ob ich das hinbiegen kann, meine, die Folgen betreffend, etwa im Haus der Ministerien. Werde ein Wort einlegen oder auch zwei. In Zeiten großer Umwandlung muß es Menschen wie Sie geben,
Weitere Kostenlose Bücher