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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Kollwitzstraße heißen sollte, ein und aus ging. Der Soldat brachte Geschenke mit: normannischen Apfelschnaps, Würste aus Lyon, Schafskäse aus den Cevennen, sogar Parfum und Brüsseler Spitzen. Der Soldat kam immer wieder, während von vielen Nachbarssöhnen nur noch die letzte Meldung nach Hause kam. Und als der Soldat Theo Wuttke im Spätsommer 45 als entlassener Kriegsgefangener heimkehrte, war er nur andeutungsweise erstaunt, als ihm seine Verlobte zur Begrüßung den Erstgeborenen in den Arm legte. Das Kind zahnte bereits; und bald lief der kleine Georg in der nur mäßig beschädigten Dreieinhalbzimmerwohnung, von der Tante Pinchen der jungen Familie eineinhalb Zimmer abgegeben hatte. Sie haben sogleich geheiratet. Der Soldat wurde Junglehrer. Und als im Jahr darauf, weil zum Hunger die große Kälte kam, Tante Pinchen starb, konnte ihnen das Wohnungsamt keinen Untermieter zwangsweise einquartieren, denn Emmi ging bereits im fünften Monat mit Theodor schwanger. Sie wollte noch mehr Kinder. Nach einer Fehlgeburt gelang ihnen der jüngste Sohn Friedrich, der Friedel gerufen wurde, wie alle Nachbarskinder im Haus und auf der Straße den zweitgeborenen Sohn Teddy, den erstgeborenen Schorsch riefen. Erst drei Jahre später, als der einstige Soldat nicht mehr Lehrer, sondern als Vortragsreisender unterwegs war, kam Martha und wurde vom Vater gleich nach der Geburt als Mete liebkost und später sogar in Briefen Mete genannt. Doch nicht die vielen Geburten haben Emmi fettleibig werden lassen. Auch war sie kein Vielfraß oder unmäßig auf Süßes versessen. Einzig Fonty soll schuld an ihrem Kummerspeck gewesen sein. Als wir es wagten, Zweifel zu äußern, lief ihr das Faß über: »Na, weil immer alles ganz unsicher mit ihm war. Weil er nachem Krieg, als er Lehrer konnt werden und nachem Schnellkurs gleich Anstellung für Deutsch und Geschichte fand, paar Jahre später schon, hier, inne Grundschule Senefelder, alles hingeschmissen hat, weil ’ ihm das stank, hat er gesagt: ›Dieser pädagogische Krempel.‹ Und weil danach auch nichts Richtiges aus ihm geworden is. Weil er immer nur ›freiberuflich‹ was sein wollte. Und weil er von Anfang an diesen Tick gehabt hat. Na, Sie wissen schon, was ich mein. Deshalb sind auch die Jungs weggeblieben alle drei. Unser Georg war ja schon siebzehn, aber Teddy und Friedel mal grad erst vierzehn und zwölf, richtige Kinder noch, als die bei seiner Schwester Lise alles ganz superdoll fanden in Hamburg. Na ja, gesorgt hat sie für die drei, da kann man nich meckern. Schule, Studium. Muß ganz schön was gekostet haben. Jedenfalls sind alle drei was geworden drüben. Und wenn unserm Georg nich, als er schon Fliegerhauptmann war, das mit dem Blinddarm passiert wär … Aber hier wurd es immer schlimmer für mich, weil ich meine Arbeit verlor und wir nich mal auf Besuch rüber durften, weil die Jungs … Republikflucht hieß das … Und weil denn die Krankheiten kamen, weil mein Gewicht und weil ich seitdem was an der Blase hab und weil mein Atem nich nur beim Treppensteigen … Das war schon schlimm genug. Aber mein Wuttke hat alles immer noch schlimmer gemacht. Na, weil nichts wurde aus ihm, kein Lehrer nich, beim Kulturbund rein gar nichts und im HdM … Nur Aktenbote ist er geworden …« Für die Last dieser umfänglichen Schuldzuweisung spricht, daß Fonty, sobald ihn Emmis Klagen aus dem Haus trieben, die Wünsche der historischen Emilie und geborenen Rouanet-Kummer herbeizitiert hat, wobei er auf eine Skizze zurückgriff, die unter der Überschrift »Wie sich meine Frau einen Beamten denkt« die mißliche Lage im Hausstand des Unsterblichen nach Punkten von eins bis zehn aufgezählt hat. Zum Beispiel hieß es: »Ein Beamter lebt lange. Solange er lebt, hat er ein auskömmliches Gehalt. Ist er krank, so wird er vertreten. Badereisen sind garantiert. Und Fehler sind gleichgültig, solange nach außen hin die eigene und des Standes Unfehlbarkeit gewahrt bleibt …« Ähnlich hätte Emmi Wuttke, wenngleich in anderer Tonlage, die Sicherheiten einer festen Anstellung weit oberhalb der Position eines Aktenboten aufzählen können. Auf ihr Drängen hin ist übrigens für Martha das Klavier angeschafft worden: »Wir hatten och ein Piano in unserer Villa in Oppeln …« Immer wieder hat sie ihrem Mann die hingeschmissene Pädagogik vorgehalten: »Mußte mein Wuttke denn, als er noch Lehrer war, zu allem, was damals politisch lief, unbedingt seinen Senf dazugeben?« Und nach der

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