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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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alles.«
    »Bis auf die Tatsache, daß sich Dawud Hamid
lebendig und gesund in seinem Flinterzimmer aufhält. Wer ist der andere
mögliche Kandidat?«
    »Khalil Latif, der einzige Überlebende
des heutigen Anschlags.«
    Das gefiel mir schon etwas besser, wenn
auch nicht besonders gut. Aber es paßte wenigstens zu meiner Vermutung, daß der
Anschlag das Werk eines Insiders gewesen sein könnte. Latif konnte gewußt
haben, daß Dawud ins Konsulat kommen würde; er hätte ohne weiteres die Bombe
legen können, bevor er seinen täglichen Spaziergang zum Marina Green gemacht
hatte. Aber hatte er Chloe Love gekannt? Wahrscheinlich ja; das Glücksspiel war ein beliebter Treff der Diplomatenszene gewesen.
    »Okay — die Details?«
    »Stellvertretender Handelsattaché am
Konsulat in San Francisco siebenundachtzig bis November neunundachtzig.
Persönlicher Assistent von Botschafter Jalil neunundachtzig bis Juni
einundneunzig. Handelsattaché, UN-Delegation einundneunzig-zweiundneunzig.
Rückkehr nach Azad wegen Familientragödie dreiundneunzig bis Oktober
vierundneunzig, dann wieder hier am Konsulat.«
    Latif war also in der Zeit, als Chloe
Love ermordet worden und Hamid verschwunden war, hier in San Francisco gewesen.
Irgendwie hatte er mir den gegenteiligen Eindruck vermittelt. Ich
vergegenwärtigte mir noch einmal mein Restaurantgespräch mit dem Handelsattaché;
er hatte Hamids Verschwinden nur vage datiert und mit keinem Wort erwähnt, daß
er der Hauptverdächtige im Mordfall Love gewesen war. Verwunderlich bei einem
boshaften Klatschmaul wie Latif. Es sei denn, er hätte ein schlechtes
Gedächtnis. Oder er hätte zuviel Angst vor dem Zorn der Konsulin gehabt, um an
diesem Thema zu rühren. Oder er hatte etwas zu verbergen...
    »Shar?«
    »Nichts Neues im Web?«
    »Ich habe schon ein Weilchen nicht mehr
nachgeguckt.«
    »Dann tu’s. Ich warte.«
    Auf beide Verdächtige paßte das
Psycho-Profil des Bombers. Beide waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort
gewesen. Latif hatte überdies heute nachmittag Zugang zum Konsulat gehabt. Und
dennoch...
    War einer von ihnen fähig, kaltblütig
zur Tür des Konsulats zu marschieren und einer Neunjährigen eine Bombe in die
Hand zu drücken? War einer von ihnen ein Soziopath, der mit der Polizei Katz
und Maus spielen würde? War einer von ihnen auf derart perverse Weise
machtgeil?
    Wer konnte das schon sagen? Der Bomber
war ein guter Schauspieler; das hatte er oft genug bewiesen.
    »Shar? Nichts Neues auf den Boards.«
    »Na gut, behalte sie weiter im Auge.
Ich werde jetzt mal Newton einen Besuch abstatten.«
     
    Langley Newtons Augen verengten sich,
als er mich im Schein der Verandaglühbirne stehen sah. Er trug denselben
abgewetzten Bademantel wie bei meinem ersten Besuch, und auf seiner Nasenspitze
hing eine Lesebrille. »Ms. McCone«, sagte er. »Was gibt’s? Irgendwelche neuen
Vorfälle?«
    »Kommt drauf an, was für Sie unter
›neu‹ fällt. Das azadische Konsulat wurde heute nachmittag in die Luft gejagt,
und bis auf eine Person sind vermutlich alle tot.«
    »Ich weiß, habe es in den Nachrichten
gesehen.« Er sah über die Schulter, trat dann in seinen Socken auf die
Eingangsveranda hinaus und zog die Tür hinter sich zu. »Tut mir leid, ich kann
Sie nicht hereinbitten. Ich habe Besuch, einen Gast mit einem leichten Schlaf.
Ich möchte nicht, daß unsere Stimmen bis ins hintere Zimmer dringen.«
    »Aha, ein Freund von Ihnen?«
    Nach kurzem Zögern nickte er. Sein
tiefsitzender Haarkranz sah im Licht der Glühbirne wie angelaufenes Silber aus.
    »Oder ist es ein Freund von einer
Freundin?« fragte ich.
    »...Bitte?«
    »Vielleicht ist Ihr Gast ja ein Freund
von Leila Schechtmann?« Newton runzelte die Stirn; vermutlich fragte er sich,
ob Leila mir erzählt hatte, daß Hamid hier war. Er trat zur Seite, lehnte sich
gegen das Waschmaschinenwrack, das neben der Tür stand, und verschränkte die
Arme vor der Brust.
    »Mr. Newton«, sagte ich, »wie lange
plant Dawud Hamid bei Ihnen zu bleiben?«
    »Hamid?«
    »Sparen Sie sich die Mühe. Ich weiß, daß
Leila ihn heute hierher geschickt hat. Ich weiß, daß er in Ihrem hinteren
Zimmer übernachtet. Für wie lange?«
    »...Ich weiß nicht.«
    »Schätzungsweise?«
    »Na ja, ein, zwei Tage wohl.«
    »Damit er seine Tochter zurückholen
kann.«
    Newton nickte leise und trat von einem
Fuß auf den anderen; sein Blick glitt weg. »Was wollen Sie von Hamid?«
    »Jemand, den ich kenne, sucht ihn. Ich
möchte die beiden

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