Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
erfahren.«
    Latifs kleine Augen leuchteten auf — ob
vor Entzücken über seinen zweiten Tacquito oder über die Gelegenheit, nunmehr
ein paar Spitzen loszulassen, war nicht ersichtlich. »Malika Hamid ist eine
außergewöhnliche Frau«, sagte er. »Sehr resolut. Sehr zielstrebig. Sie setzt
ihren Willen immer durch. Ihre Großmutter war Engländerin, wußten Sie das
schon? Eins dieser verarmten adligen Fräuleins, die Ende des letzten
Jahrhunderts aus schierer Noblesse in weniger zivilisierte Weltgegenden
aufbrachen, um gute Werke zu tun. Sie kennen das sicher aus historischen
Romanen. Der Emir stellte sie als Erzieherin für seine Kinder ein, aber sie
beschloß, den Emir auch gleich mit zu erziehen. Eben hatte er noch drei Frauen
und seine Freiheit gehabt, und plötzlich fand er sich als Gatte der ehrenwerten
Sarah Abernathy wieder. Seine früheren Ehen waren nämlich in ihren Augen
ungültig. Der arme Emir! Sarah begann, ihn umzukrempeln, und als sie damit
fertig war, ging sie daran, das ganze Land umzukrempeln.«
    »Ich nehme an, mit Erfolg.«
    »Aber gewiß. Sie ließ sich durch nichts
aufhalten. Ihr verdankt Azad, daß es heute als fortschrittlich gilt. Unsere
Frauen tragen schon seit Jahrzehnten keinen Hijab mehr; sie genießen
dieselbe Schulbildung wie die Männer, sie fahren Auto, haben verantwortliche
Positionen inne. Eins ist Sarah zu ihrem Leidwesen allerdings nicht gelungen:
uns zu Anglikanern zu machen; wir halten uns immer noch an den Koran. Doch bis
auf einige wenige fundamentalistische Splittergruppen interpretieren wir ihn
auf eine Art und Weise, die sich mit dem modernen Leben verträgt. Und wir sind
ein friedliches Land. Natürlich« — er lächelte — »ist es hilfreich, daß wir auch
ein reiches Land sind. Ein voller Bauch macht friedfertig.«
    »Und Malika Hamid? Schlägt sie nach
ihrer Großmutter?«
    »Oh, absolut. Sie war, wie es in
unseren führenden Familien Tradition ist, in einem englischen Internat und hat
dann ihr Diplom an der London School of Economics gemacht. Sie hat viel von der
Welt gesehen, ist sehr belesen. Sie hatte es nie mit dem Jet-Set und diesen
ganzen leichtfertigen Vergnügungen. Nach dem Studium ist sie in unser Land
zurückgekehrt und war in diversen hochrangigen Regierungskommissionen tätig.
Und sie hat auch noch die Zeit gefunden zu heiraten — einen entfernten Vetter
aus der Hamidschen Linie, mit dem sie einen Sohn hat. Ihr Mann lebt nämlich
noch.«
    »Hier in San Francisco?«
    Latif schüttelte den Kopf, und sein
schmallippiges Lächeln hatte etwas Boshaftes. »Nein, in Südfrankreich, glaube
ich. Vor fünfzehn Jahren etwa gab es um ihn einen Skandal, wegen einer
Geschichte mit zwei Knaben — gleichzeitig wohlgemerkt. Er setzte sich ins
Ausland ab, und seine gekränkte Frau ersuchte um ein langfristiges
diplomatisches Amt in Amerika. Sie wollte am liebsten nach San Francisco, also
wurde der hiesige Konsul abberufen. Mrs. Hamid verließ mit ihrem Sohn Dawud
unsere Hauptstadt Djara und hat seither nie wieder azadischen Boden betreten.«
    »Dawud ist Habibas Vater?«
    »Ja.«
    »Und er lebt noch immer im Konsulat?«
    »Nein. Dawud — Dave, wie er genannt zu
werden wünschte — verschwand irgendwann spurlos. Vor fünf, sechs Jahren? Tut
mir leid, ich weiß es nicht mehr genau. Er war damals Ende zwanzig. Mrs. Hamid
brach schier das Herz; sie vergötterte ihren Sohn, hätte alles für ihn getan.
Hinzu kam noch, daß sein Verschwinden offenbar mit seiner Verwicklung in
illegale Glücksspielaktivitäten zusammenhing.«
    »Er hatte Spielschulden?«
    »Nein, das nicht. Er soll angeblich
irgendein Glücksspielunternehmen geleitet haben, bei dem es um hohe Einsätze
ging. Ich muß hinzufügen, daß das purer Klatsch ist. Mrs. Hamid ist äußerst
bemüht, familiäre Angelegenheiten innerhalb der Familie zu regeln, wie das in
Azad Sitte ist, und nichts nach außen dringen zu lassen. Die meisten ihrer
Untergebenen sind nicht besonders gut auf sie zu sprechen und neigen dazu, das
bißchen, was sie mitkriegen, übertrieben aufzubauschen.«
    Wie du. »Wissen Sie, ob Dawuds
Verschwinden freiwilliger oder unfreiwilliger Natur war?«
    Latif schüttelte den Kopf und spießte
ein weiteres Stück Huhn auf.
    »Wurde die Polizei eingeschaltet?«
    »Nicht, daß ich wüßte.«
    »Und seine Frau? Lebt sie noch im
Konsulat?«
    Er legte die Gabel hin und schob seinen
Teller weg. Anscheinend war ihm der Appetit vergangen. »Ja, die junge Mrs.
Hamid lebt bei ihrer

Weitere Kostenlose Bücher