Ein wilder und einsamer Ort
Schwiegermutter.«
Irgend etwas war da faul. »Erzählen Sie
mir ein bißchen von ihr.«
»Sie ist Amerikanerin. Dave hat sie an
der Universität von Los Angeles kennengelernt, ehe ihm nahegelegt wurde, sein
Studium wegen mangelnder Leistungen aufzugeben.«
»Wie heißt sie mit Vornamen?«
»Mavis.«
»Was macht sie beruflich?«
»Momentan gar nichts. Sie war Lyrikerin
— sehr begabt, hat viele Preise gewonnen. Und sie ist immer noch eine schöne
Frau; sie ist ja erst Anfang dreißig.«
»Warum hat sie das Gedichteschreiben
aufgegeben?«
Er seufzte. »Sie trinkt.«
Bei gesellschaftlichen Anlässen
außerhalb des Konsulats? In einem Azadi-Haushalt, wo nach den Geboten des Islam
Alkohol verboten war, konnte sie sich ja wohl schlecht vollaufen lassen.
»Wieviel?«
»Stetig.«
»Sie ist Alkoholikerin?«
»Ja.«
»Weiß ihre Schwiegermutter von diesem
Problem?«
»O ja.«
»Hat sie versucht, Mavis dazu zu
bewegen, sich in Behandlung zu begeben?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Er zuckte die Achseln.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß es
im Konsulat Alkoholvorräte gibt. Wie kommt Mavis zu ihrem Quantum? Gegen die
Anordnungen ihrer Schwiegermutter?«
»Wie gesagt, Mavis Hamid ist eine
schöne Frau, eine verletzliche und unglückliche Frau. Ihr Name bedeutet
›Singdrossel‹, wissen Sie, und er paßt zu ihr. Für eine solche Frau tun andere
alle möglichen Dinge — sogar wider ihre bessere Einsicht und die Vorschriften
ihres Glaubens.«
Mit anderen Worten: Das Personal
versorgte sie mit Sprit. Weil sie eine schöne, verletzliche lind unglückliche
Frau war? Das nahm ich ihm nicht ab. Aber ich konnte mir vorstellen, daß eine
verzweifelte Frau für eine Dosis Alkohol einiges springen ließ: Geld oder sogar
sexuelle Gefälligkeiten. Ich wollte gerade ein wenig weiterbohren, als ich den
Schmerz in Latifs Augen bemerkte.
Er ist in sie verliebt, dachte ich, und
er hat ihr selbst schon manche Pulle beschafft.
»Mavis sitzt also einfach nur im
Konsulat und trinkt?«
»Sie bleibt auf ihrem Zimmer. Spät in
der Nacht, wenn sie glaubt, daß niemand mehr auf ist, wandert sie manchmal
durchs Haus.« Seine Formulierung sagte mir, daß er ihr bei diesen nächtlichen
Wanderungen begegnet war. Vielleicht war er auf diese Weise ihr Liebhaber oder
zumindest ihr Vertrauter geworden.
»Wissen andere Leute aus der
Diplomaten-Szene von ihrem Problem?«
»Letztes Jahr gab es bei Empfängen in
unserem Konsulat ein paar peinliche Vorfälle, die es erforderlich machten,
Mavis ruhigzustellen, aber in letzter Zeit hat sie sich fast völlig zurückgezogen.«
»Glauben Sie, daß ihre Trinkerei mit
dem Verschwinden ihres Mannes zusammenhängt?«
»Sie hat immer schon getrunken. Und
Dave auch. Das ist bei uns viel verbreiteter, als man annehmen sollte. Aber ich
würde sagen, danach wurde es schlimmer.«
»Ich verstehe immer noch nicht, warum
Malika Hamid nicht darauf dringt, daß Mavis sich in Behandlung begibt. Wenn es
wegen der negativen Publicity ist, könnte sie sie doch ganz diskret in eine
dieser europäischen Kliniken schicken.«
Latif hatte die ganze Zeit sein Messer
auf dem Teller hin und her gedreht; jetzt packte er es wie einen Dolch.
Ich sagte: »Ich muß Sie etwas fragen:
Unterstützt Mrs. Hamid Mavis’ Trinkerei?«
»Ja.«
»Warum?«
»Mavis haßt Malika. Schon vom ersten
Moment an. Wenn sie gesund und bei Kräften wäre, würde sie ihre Tochter nehmen
und aus dem Konsulat verschwinden. Sie würde die Wertpapiere verkaufen, die sie
vor ein paar Jahren von ihren Eltern geerbt hat, und weit weggehen. Malika
würde Habiba nie wiedersehen.«
»Hat Mavis das gesagt?«
»Oft genug — und in Hörweite ihrer
Schwiegermutter. Malika wird das niemals zulassen. Seit sie ihren Sohn verloren
hat, ist Habiba ihr ein und alles. Sie wird sie nie gehen lassen, und jeder,
der sie ihr wegzunehmen versucht, springt über die Klinge.«
»Gage, ich muß in dieses Konsulat und
mit Mavis Hamid reden.«
»Das läßt Malika niemals zu. Und
außerdem ist Mavis die meiste Zeit so weggetreten, daß sie ohnehin nichts
Sinnvolles von sich gibt.«
»Trotzdem, ich muß es versuchen.«
»Ist nicht drin.«
»Wie kannst du das behaupten? Du bist
doch für die Sicherheitsmaßnahmen zuständig.«
»Wenn Malika dahinterkäme, daß ich dich
zu ihrer betrunkenen Schwiegertochter schleuse, würde sie mir den Schwanz
abhacken.«
»Kein großer Verlust.«
Schweigen. Dann merkte Renshaw, daß ich
ihm lediglich seine Bemerkung über
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