Ein wilder und einsamer Ort
ansetzen.
Ich fragte: »Und wie hat Ihre
Schwiegermutter darauf reagiert?«
»Sie hat mir erklärt, ich sei kindisch.
Ich weiß nicht, warum sie’s nicht verstehen konnte. Schließlich macht sie hier
sämtliche Spielregeln. Malika hat für alles Regeln parat, und wenn sie ihr
nicht mehr passen, ändert sie sie einfach. Ich habe ihr schon mal gesagt, sie
soll sie doch jeden Tag neu drucken lassen und aushängen wie eine Speisekarte,
dann wüßte man wenigstens, was gilt. Das hat ihr allerdings gar nicht
gefallen.« Sie kicherte und hielt sich eine Spielkarte vor den Mund — ein
aufmüpfiges Kind.
»Erzählen Sie mir von Malikas
Spielregeln.«
Mavis sah ostentativ auf mein Glas.
»Sie trinken ja gar nicht.«
Ich nahm einen kleinen Schluck, zwang
den warmen, unverdünnten Sprit mühsam hinunter. »Die Regeln?« wiederholte ich.
Sie warf die Karten auf den Boden,
griff nach ihrem Glas und lehnte sich gegen die Chaiselongue. »Also, da ist
einmal die Regel, daß ich Habiba — meine Tochter, kennen Sie sie?«
Ich nickte.
»Daß ich Habiba nur eine Stunde am Tag
sehen darf. Es sei denn, sie produziert einen Heulanfall und schreit nach mir,
dann darf ich sie sehen, bis sie wieder aufhört. Dann ist da die Regel, daß ich
nicht allein wegfahren oder rausgehen darf, nur mit Karim — er ist der
Chauffeur. Ich habe zwar gar kein eigenes Auto, also würde ich sowieso nicht
fahren, und außerdem will ich auch nirgends hin. Aber diese Regel wird geändert,
wenn ich zuviel trinke und Tabletten nehme und Dr. Lee nicht kommen kann, um
mir eine Spritze zu geben. Dann muß ich raus und endlos spazierengehen, aber
immer nur mit Karim.« Ihre Lippen kräuselten sich verächtlich — langsam, fast
träumerisch. »In puncto Sprit gibt es natürlich keine Regel. Ich kann soviel
haben, wie ich will, solange ich mich benehme und in meinem Zimmer bleibe.«
»Solange Sie sich wie benehmen?«
»Oh, nicht bei einer ihrer
gottverdammten Dinnerpartys plötzlich reinspaziere und mit irgendeinem hohen
Tier rede. Nicht verlange, daß ich Habiba außerhalb der üblichen Stunde sehen
darf. Ich habe nämlich einen schlechten Einfluß auf sie.«
»Glauben Sie das wirklich?«
»Ach, ja, es stimmt wohl.«
»Dann sitzen Sie also die meiste Zeit
hier in Ihrem Zimmer?«
»Wenn ich Sprit will, ja. Und ich will
— Sprit, meine ich.«
»Und Habibas Vater? Was er sagt er zu
alldem?«
Ihr immer noch lächelnder Mund verzog
sich verächtlich, und in ihren Augen funkelte Zorn. »Dave-der-Goldjunge? Sehen
Sie hier eine Spur von einem Mann?«
»Nein.«
»Das liegt daran, daß
Dave-der-Vollkommene, Dave-der-Unfehlbare, schon seit Jahren nicht mehr hier
ist. Malika hat leider nicht daran gedacht, die Regel aufzustellen, daß Söhne
nicht verschwinden dürfen.«
»Er hat sich abgesetzt?«
»Klar. Wer würde dieser
herrschsüchtigen Hexe nicht entkommen wollen?«
»Aber was ist mit Ihnen und Habiba?
Warum hat er Sie und Ihre Tochter hier zurückgelassen?«
»Dave und ich sind nicht mehr
miteinander ausgekommen, seit er mich in dieses Haus gebracht hat. Mich
loszuwerden hat ihn sicher genauso gefreut, wie endlich der Fuchtel seiner
Mutter zu entrinnen. Habiba... das verstehe ich selbst nicht. Er hat sie
vergöttert.« Für einen kurzen Moment wirkten ihre Augen weich, dann wurden sie
wieder hart und zornig. »Aber wenn er sie wirklich geliebt hätte, hätte er sie
doch nie diesem Haushalt ausgesetzt, oder?«
»Ich weiß nicht. Was war denn der Grund
dafür, daß er hier wohnen wollte?«
»Das Geld, was sonst?
Dave-der-Musterknabe flog von der Uni; er hat behauptet, es sei wegen der
Zensuren, aber ich weiß, daß sie ihn rausgeworfen haben, weil er bei den
Klausuren gemogelt hat. Ich habe mein Examen gemacht, aber ein Abschluß in
englischer Literatur und eine poetische Ader — davon kann man nicht leben, und
ein regulärer Job entsprach nicht Daves Plänen. Also sind wir hierhergekommen.
Eine Zeitlang hat Malika uns ausgehalten, und Dave mußte nach ihrer Pfeife
tanzen. Aber dann hat er etwas anderes aufgetan.«
»Was?«
Mavis zuckte die Achseln und ging ihr
Glas wieder auffüllen. Als sie zurückkam, ließ sie sich auf die Chaiselongue
sinken. »Was haben Sie mich eben gefragt?«
»Was Ihr Mann damals aufgetan hat.«
»Ach, ja. Keine Ahnung. Als ich
mitbekam, daß da etwas lief, wohnten wir schon in getrennten Räumen, und wir
haben kaum noch miteinander geredet. Ich habe damals angenommen, es sei eine
andere Frau — eine mit Geld, denn
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