Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
plötzlich war er immer flüssig und ließ sich
von Malika nichts mehr bieten. Aber wenn da eine andere war, warum hat er sich
nicht von mir scheiden lassen und Habiba zu sich genommen? Bei den Moslems ist
eine Scheidung keine große Sache, und Malika hätte schon dafür gesorgt, daß er
das Sorgerecht bekommen hätte.«
    »Wie?«
    »Indem sie mich als schlechte Mutter
hingestellt hätte. Ich habe damals schon ziemlich viel getrunken, und ich hatte
auch... ein paar Affären.«
    »Aber Ihr Mann hat nie von Scheidung
gesprochen?«
    »Nein, und dann, ganz plötzlich — kein
Dave mehr.«
    »Wann war das?«
    »Februar... neunzig. Dave kam die ganze
Nacht nicht heim. Das war nicht weiter ungewöhnlich, er war schon das ganze
letzte Jahr oft weggeblieben, aber er kam immer am Morgen zurück, um sich
umzuziehen. Als er nach drei Tagen immer noch nicht aufgetaucht war, schaltete
Malika eine Privatdetektei ein.«
    »Nicht die Polizei?«
    »Nie und nimmer.«
    »Wissen Sie noch den Namen der
Detektei?«
    »...Nein. Ich weiß nicht, ob sie ihn
mir je gesagt hat. Offen gestanden, mein Gedächtnis ist nicht besonders gut.«
    »Hat die Detektei etwas
herausgefunden?«
    »Nicht, daß ich wüßte.«
    »Was glauben Sie, warum Ihre Schwiegermutter
die Polizei nicht einschalten wollte?«
    »Es war so kurz, nachdem...«
    »Nach was?«
    »Nein. Das spielt keine Rolle.«
    »Mavis...«
    Sie setzte sich auf und sah mich scharf
an. »Verzeihung, was haben Sie gesagt, weshalb Sie hier sind?«
    »Um mich zu vergewissern, daß Sie mit
den neuen Sicherheitsmaßnahmen zufrieden sind, die wir nach dem versuchten
Bombenanschlag veranlaßt haben.«
    Sie runzelte die Stirn. »Was für ein
Bombenanschlag?«
    Du liebe Güte. Mavis Hamid bekam so
wenig von dem mit, was im Haus vor sich ging, daß sie nicht einmal wußte, daß
ihre Tochter gestern nachmittag beinahe umgekommen wäre. Ich traute mich nicht,
sie aufzuklären; ich konnte nicht absehen, was die Nachricht bei ihr auslösen
würde, und es bestand das Risiko, daß ihre Schwiegermutter von unserem Treffen
erfuhr.
    Ich sagte rasch: »Auf ein anderes
Konsulat.«
    »Ach so.«
    »Sie sagten, Daves Verschwinden...«
    »Ich will nicht mehr über ihn reden.«
Sie schlug wieder einen ihrer erratischen Haken und stürzte sich in einen
längeren Monolog über Lyrik. Ich hatte seit meiner High-School-Zeit nicht mehr
viele Gedichte gelesen, und gegen die paar Zeilen, die ich einmal als
Hausaufgabe zu Papier gebracht hatte, wirkten Hallmark-Grußkartenverse wie der
reinste Shakespeare, aber ich war trotzdem fasziniert von dem, was Mavis da
über die Umsetzung von Gedanken und Gefühlen in poetische Bilder sagte. Und ich
war fasziniert von der freudigen Erregung, die sie ausstrahlte, und von der
Tatsache, daß ihre Hand kein einziges Mal zu ihrem Wodkaglas wanderte. Als ich
schließlich erklärte, ich müsse jetzt los, und zur Tür ging, kam sie rasch
hinter mir her und drückte mir ein schmales Büchlein in die Hand. Klagen und
Siege von Mavis O’Donnell Hamid.
    »Danke, daß Sie mir zugehört haben«,
sagte sie. »Ich habe schon so lange nicht mehr über meine Arbeit geredet.«
    Ich umarmte sie spontan, ehe ich in den
Flur hinaustrat.
    Renshaw lehnte an einem Schrank an der
Wand gegenüber. Als ich die Tür hinter mir schloß, sagte er: »Welch rührende
Demonstration schwesterlicher Zuneigung.«
    »Hören Sie, irgendwer sollte dieser
Frau eine Schwester sein. Das hier« — ich zeigte auf Mavis Zimmertür — »ist
kriminell!«
    »Und geht uns nichts an.«
    »Vermutlich nicht, aber es macht mich
wütend!« Ich hielt Mavis’ Buch fest umfaßt, während wir das Konsulat wieder
verließen, als könnte ich, indem ich es beschützte, irgendwie auch seine
Verfasserin beschützen.
    Wir trennten uns auf dem Bürgersteig.
Gage marschierte hügelaufwärts zu seinem Einsatzwagen, ich zu meinem Auto. Als
ich den Schlüssel im Türschloß umdrehte, merkte ich, daß ich den Wagen
offengelassen hatte. Leichtsinnig, McCone, verdammt leichtsinnig.
    Als ich hinters Steuer schlüpfte und
nach meinem Sicherheitsgurt griff, sagte eine Stimme: »Fahr mich spazieren...
bitte.«
    Obwohl es ein Kinderstimmchen war,
erstarrte ich für einen Moment. Dann wandte ich mich Habiba Hamid zu. Sie saß
auf dem Beifahrersitz, angeschnallt und abfahrbereit.
    »Wie bist du da rausgekommen?« fragte
ich streng.
    »Ich kenne viele Tricks.« In dem
Dämmerlicht erkannte ich ein durchtriebenes Grinsen, das dem ihrer Mutter
ähnelte. Sie war ein

Weitere Kostenlose Bücher