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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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die Bewohner unmittelbar vor der
Haustür; Schießereien waren an der Tagesordnung. Eltern hatten Angst, ihre
Kinder allein zur Schule zu schicken; die Mitglieder der allgegenwärtigen Gangs
hatten keinerlei Ähnlichkeit mit den romantisierten Gestalten, die ich kürzlich
bei einer Wiederaufführung der West Side Story mit einigem Zynismus
hatte bewundern dürfen.
    Aber es gab auch noch ein paar Leute
hier, die nicht vor der Kriminalität kapituliert hatten. Frustriert, weil sie
sich von der Polizei nicht ausreichend geschützt fühlten, taten sie sich mit
Ladenbesitzern zusammen, um Bürgerpatrouillen auf die Beine zu stellen. Frauen
und Männer hielten an besonderen Krisenpunkten wie der U-Bahnstation
Sechzehnte, Ecke Mission Wache. Mit nichts als ihrer Courage und ihrer
Geistesgegenwart bewaffnet, waren sie fest entschlossen, ihre Nachbarschaft zu
schützen. Ich wünschte, ich hätte an den Erfolg ihrer Bemühungen glauben
können. Die Sharon McCone, die in dem winzigen Apartment an der Guerrero-Street
gewohnt hatte, hätte selbstverständlich daran geglaubt und sich vielleicht
sogar an den Aktionen beteiligt. Aber diese Person kannte ich kaum noch — uns
trennten etliche desillusionierende Jahre.
    Lärm schlug mir entgegen, als ich die
Remedy Lounge betrat: Gäste drängten sich um die Bar und an den Tischen. Als
ich mich an die Theke vorgearbeitet hatte, orderte ich bei Brian, dem Besitzer,
einen Espresso. Dann nahm ich in einer »soeben frei gewordenen Sitznische
Platz.
    Nach zwanzig Minuten ließ das Gedränge
etwas nach. Ich ging wieder an die Bar, bestellte mir einen zweiten Espresso,
um mich für die lange Nachtfahrt zu Wappnen, und dazu ein Glas Rotwein für
Greg. Ich hatte mich gerade wieder hingesetzt, als er hereinkam — ein kräftiger
Mann mit sandfarbenem Haar, das inzwischen mit weißen Strähnen durchsetzt war,
und einem Körper, der noch immer wenig von seiner jugendlichen Straffheit
verloren hatte. Er grinste, als er mich erspähte, und zog eine dunkelblonde
Augenbraue hoch, als er sah, daß sein Drink schon auf dem Tisch stand.
    »Mit persönlichem Service«, sagte er
und drückte einen Kuß in die Nähe meines rechten Ohrs. »Ich danke, Ma’am.«
    »Einen anderen Service wirst du hier
kaum kriegen.« Das Remedy hat es noch nie geschafft, einen Kellner oder eine Kellnerin
länger als eine Woche zu halten, und Brian weigert sich, irgend jemand anderen
als Rae, die ihn an seine verstorbene Schwester erinnert, am Tisch zu bedienen.
    Greg setzte sich mir gegenüber, trank
einen Schluck Wein und sagte: »Du siehst so gut aus wie eh und je.«
    »Hast du gedacht, ich hätte in den
letzten paar Monaten total abgebaut?«
    »Man weiß ja nie — in deinem Metier.
Bist du immer noch mit diesem fliegenden Terroristen zusammen?«
    »Hy ist auf Terrorismusabwehr
spezialisiert, das weißt du genau. Und du? Bist du immer noch mit dieser
Frittenbraterin zusammen?«
    »Linda ist Chefköchin in einem
Vier-Sterne-Restaurant — das weißt du genau.«
    Wir lächelten — zwischen uns war immer
noch alles beim alten. »Also, was willst du diesmal?« fragte er.
    »Zu allererst strikte
Verschwiegenheit.«
    »Ich bin nicht dein Anwalt. Und auch
nicht dein Beichtvater.«
    »Es ist mir ernst. Kann ich mich auf
dich verlassen?«
    Er fuhr sich mit der Hand über das
stoppelige Kinn und sah mich nachdenklich an — vermutlich dachte er an all die
anderen Situationen, in denen er mir vertraut und ich sein Vertrauen nicht
enttäuscht hatte. Nach einem Weilchen nickte er.
    »Ich arbeite mit Adah Joslyn an dem
Diplobomber-Fall. Sie ist ziemlich durch den Wind.«
    »Das ist mir bereits zu Ohren gekommen.«
    Ich hatte schon vermutet, daß die Kunde
von Adahs ungewöhnlichem Verhalten bis ins Department gedrungen war. »Was hört
man denn über sie?«
    »Daß sie ziemlich extrem drauf ist.«
    »Deshalb kann ich sie nicht um das
bitten, was ich brauche — ein paar Daten aus dem Bundeskriminal- und
-justizarchiv. Es gäbe zwar noch ein paar andere Möglichkeiten, dranzukommen,
aber ich würde mich lieber offizieller Kanäle bedienen.«
    »Recht so. Dein Neffe ist ein netter
Junge und sollte sich nicht in Schwierigkeiten bringen. Aber da ist ja noch
RKI; die mißbrauchen die Datenbanken doch ständig. Sag mal, wie ist es denn,
mit denen unter einer Decke zu stecken?«
    Ich ging nicht in die Luft, weil ich
echte Sorge um mich hinter dieser Frage spürte. »Ich benutze RKI. Nicht
umgekehrt.«
    »Noch nicht.«
    »Nie.«
    »Dein Freund

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