Ein wilder und einsamer Ort
nicht?«
»Adah Joslyn hat angerufen; sie
kampiert vor deiner Tür. Sie glaubt nicht, daß du übers Wochenende weg bist,
und sie klingt ziemlich unleidlich.«
»Verdammt!« Ich hatte gedacht, sie
hätte sich inzwischen beruhigt. Daß ich nicht nach Hause konnte, um meine
Sachen zu holen, war nicht so schlimm; ich hatte ein paar Klamotten und auch
sonst das Nötigste draußen in unserem Häuschen, und die Kartons konnten bis zum
nächstenmal warten. Aber ich hatte gehofft, Adah noch bitten zu können, mir ein
paar Informationen zu beschaffen.
»Na gut, danke für die Warnung«, sagte
ich zu Mick. »Überwachst du die Bulletin-Boards?«
»Klar. Bis jetzt war noch nichts
Brauchbares dabei.«
»Und was ist mit den Recherchen über
Azad, um die ich dich gebeten habe? Wie kommst du damit voran?«
»Schon fertig.«
»Der Ausdruck auch?«
»Auf deinem Schreibtisch.«
»Gut. Bist du willens, morgen zu
arbeiten?«
»Spricht nichts dagegen. Maggie muß für
Klausuren büffeln.« Es klang verdrossen.
»Okay, dann hör zu, was ich brauche.«
Ich erklärte es ihm in allen Einzelheiten. »Faxe es mir nach Bootlegger’s
Cove.« Dann zog ich an der Church Street auf die linke Spur hinüber und nahm
Kurs auf Bernal Heights.
Mick war schon weg, als ich ins Büro
kam. Ich sah auf meine Armbanduhr: kurz nach elf. Ich packte rasch den Stapel
ausgedruckter Seiten von meinem Schreibtisch in meine Aktenmappe, aber irgend
etwas spukte mir im Kopf herum. Ich setzte mich hin, um nachzudenken. Nach
einigen Minuten zog ich meinen Stuhl näher an den Schreibtisch heran und wählte
die Dienstnummer von Captain Greg Marcus. Mein alter Freund war* jetzt beim
Drogendezernat und hätte von seinem Dienstgrad her um diese Zeit eigentlich
längst Feierabend haben müssen, aber er hatte mir vor kurzem erzählt, daß er
aufgrund des extremen Personalmangels ständig Zusatzschichten einlegte. Er war
noch an seinem Schreibtisch.
»So eine Überraschung«, sagte er. »Ich
nehme an, du willst irgendwas.«
Unser Umgangston ist immer schon
ziemlich ruppig gewesen, selbst in den Zeiten — vor hunderttausend Jahren —,
als wir ein Liebesverhältnis hatten. Es liegt irgendwie an unser beider
Persönlichkeitsstruktur; irgend etwas hindert uns daran, unsere Stärken zu
kombinieren und unsere Schwächen zu kompensieren. Zwischen uns herrscht immer
eine gewisse Konkurrenz — und leider nicht von der Art, die aus beiden
Beteiligten das Beste herausholt. Im Lauf der Jahre sind wir beide milder
geworden, aber ich kann immer noch nicht abschätzen, was passiert, wenn ich
Kontakt mit ihm aufnehme.
An diesem Abend hatten wir offenbar
beide eine besonders milde Phase; sein Ton war scherzhaft, und die spitze
Bemerkung amüsierte mich lediglich. »Ja«, sagte ich. »Ich will dich zu einem
Drink einladen.«
Er lachte. »Wenn ich mich recht
entsinne, läuft das immer darauf hinaus, daß ich dir einen Gefallen tun soll.
Wo bist du? In deinem Büro?«
»Ja.«
»Dann treffen wir uns im Remedy. In
einer halben Stunde — spätestens.«
Ich schloß mein Büro ab, verstaute
meine Aktenmappe im MG und ging zu Fuß hinunter zur Mission Street. In den
Straßen herrschte der übliche Freitagabendbetrieb, liefen die üblichen Sex- und
Drogendeals. Ich sah Frankie Cordova, einen meiner Informanten, am Eisengitter
vor einem Laden lehnen, ein Bier in der Hand, den Arm um die Schultern einer
zugedröhnten jungen Latina. Als ich ihm zunickte, prostete er mir mit der
Flasche zu.
Der Mission-Distrikt hatte für mich
schon lange seinen Charme verloren. Vorjahren, als ich in einem winzigen
Studio-Apartment an der Guerrero Street, Nähe Zweiundzwanzigste, gewohnt hatte,
war das hier eine gastliche Gegend gewesen, wenn auch ein bißchen rauh abseits
der belebten Straßen. Ich hatte nette Nachbarn im Haus gehabt und nette Leute
gleich gegenüber in Ellen T.’s Grillbar, meinem damaligen Lieblingslokal. Aber
dann war eine Mieterin im Stockwerk über mir ermordet worden, und bei meinen
Ermittlungen in dieser Sache hatte ich die häßliche Kehrseite des Viertels
kennengelernt. Sobald ich es mir hatte leisten können, hatte ich das kleine
Haus gekauft und war weggezogen. In der Zwischenzeit hatten sich Gangs und
Fixer hier breitgemacht. Ellen T.’s Mann Stanley war bei einem Raubüberfall
erschossen worden, und Ellen hatte das Lokal verkauft und war nach Nebraska
zurückgegangen. Teile des Mission-Viertels waren inzwischen regelrechte
Kriegsgebiete. Drogendealer terrorisierten
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