Ein wilder und einsamer Ort
Mühe gemacht, deinen MG bei All Souls abzustellen und mit dem Taxi
hierherzufahren.«
»Tut mir leid, Hy. Mußt du eilig wieder
weg?«
»Eigentlich nicht. Ich fühle mich
wieder fiebrig, deshalb liege ich hier auf deinem Sofa unter einer Wolldecke,
und Ralph hat es sich auf meiner Brust gemütlich gemacht. Ich werde ihn gleich
in die Küche schicken, damit er mir einen schönen heißen Toddy macht.«
»Du solltest wirklich zum Arzt gehen.«
»Das ist nur ein kleiner Infekt; das
gibt sich schon wieder. Was denkst du, wann du nach Hause kommst?«
Ich erzählte ihm von den neuen
Entwicklungen. Als ich fertig war, sagte er: »Klingt nach einer ordentlichen
Portion Arbeit. Apropos Portion, die Lasagne, die du mir versprochen hattest,
habe ich im Gefrierfach gefunden. Wenn du magst, kann ich ja einen Salat
machen, und wir schieben die Lasagne in die Mikrowelle, wenn du hier bist.«
»Wunderbar. Im Kühlschrank sind jede
Menge Sachen für einen Salat, und ich hole unterwegs noch Baguettes. Bis dann.«
Als ich auflegte, bemerkte Charlotte:
»Ein Mann, der Salat machen kann — nicht schlecht!«
»Ziemlich toll sogar. Beides, meine
ich, der Salat und der Mann.«
Ich zeigte auf die ausgedruckten
Seiten, die sie auf ihrem Schreibtisch ausgebreitet hatte. »Also, was haben wir
denn da?«
»Tja, über diesen Dawud Hamid und die
übrigen Azadis habe ich nichts gefunden, außer dem üblichen
Gesellschaftskolumnenzeug. Aber dann habe ich die Zeitungen vom Zeitpunkt
seines Verschwindens an je ein Jahr nach vom und nach hinten auf den Vornamen
Klaus durchgecheckt. Gefunden habe ich Klaus Schechtmann — Speed Schechtmann
für seine Freunde.«
»Kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Anzunehmen. Etwa sechs Monate vor dem
Verschwinden dieses Dawud Hamid flog auf, daß dieser Schechtmann in seinem
deutschen Restaurant in der Vallejo Street, über dem Broadway Tunnel, ein
High-Tech-Wettbüro betrieb. Das gesamte Obergeschoß des Gebäudes war eine
Telefonzentrale, wo unter kostenfreien Nummern Wetten für alles mögliche, vom
College-Football bis zum Kentucky Derby, entgegengenommen wurden. Speed
scheffelte über eine Milliarde jährlich, und außerdem war sein Restaurant der
Treff der internationalen Schickeria.«
»Soll heißen, Diplomatenszene?«
»Diplomaten, Eurotrash,
vergnügungssüchtige Ausländer aller Art.«
»Wie hieß das Lokal?«
Charlotte Keim grinste. »Das
Glücksspiel .« Sie erklärte mir die Bedeutung des deutschen Wortes.
»Welch subtile Tarnung!«
»Ich schätze, der gute Speed leidet an
dieser typisch teutonischen Krankheit, sich für ein höherwertiges Geschöpf und
somit für unantastbar zu halten. Ich hatte zwei Onkel, die auch so dachten —
bis sie wegen Unterschlagung im Knast landeten. Speed bekam eine ähnliche
Lektion erteilt, als sich zwei Undercover-Leute von der Sitte bei ihm
einschlichen; eine Woche bevor die Staatsanwaltschaft die Sache vor die
Anklagejury bringen wollte, machte er den Laden zu und setzte sich ab.«
»Wohin?«
»Zuerst in die Karibik. Im November
neunundachtzig wurde er auf St. Maarten gesehen, dem niederländischen Teil
einer dieser Leeward-Inseln. Dort gibt es legale Spielhöllen, aber alles streng
kontrolliert. Zu kleinkariert für Leute wie Speed. Danach verschwand er von der
Bildfläche.«
Bis auf gelegentliche Auftritte an
Malika Hamids Eßtisch.
Ich stapelte die Seiten und las sie
langsam durch. Dawud Hamid wurde nirgends in Zusammenhang mit Klaus Schechtmann
erwähnt, aber das Wettbüro mußte die zwielichtige Sache sein, in die er
verstrickt gewesen war. Nach einigen Minuten des Nachdenkens konnte ich mir den
Ablauf des Geschehens zusammenreimen: Hamid verkehrt im Glücksspiel und
freundet sich mit dessen Eigentümer an; Schechtmanns luxuriöser, aufregender
Lebensstil besticht den jungen Mann, der von seiner Mutter am kurzen Zügel
gehalten wird. Schechtmann erkennt in Dawud einen leicht manipulierbaren
Menschen, der keine Skrupel kennt, Geld braucht und die nötigen Fähigkeiten
besitzt, um das rasch wachsende Glücksspielgeschäft für ihn zu managen.
Außerdem verfügt Hamid über ein unschätzbares Plus, das Schechtmann nicht hat —
diplomatische Immunität. Indem er Dawud in das Metier einführt, kann Speed sich
selbst aus dem Geschäft zurückziehen und es in die Hände eines Mannes legen,
den niemand zu irgendwelchen Aussagen über sein Treiben zwingen oder dafür vor
Gericht stellen kann. Und die Milliarden werden weiter auf den Konten in
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