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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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immer da, jeden Tag, damit muss man sich einfach arrangieren. Und er gibt gutes Geld aus. Trotzdem eine traurige Geschichte.
    Zeigt einem bloß, dass es noch lange keinen guten Menschen aus dir macht, wenn du einen guten Namen hast und aus gutem Hause kommst. Ich kenne ihn überhaupt nicht mehr.
    Und dann diese Frau, die er hat. Warten Sie nur ab. Die ist eine ganz besondere Nummer.«
    Die weißen Frauen nannten Charlie Mr. Beale, und er korrigierte sie jedes Mal freundlich, bis sie ihn tatsächlich irgendwann Charlie nannten, obwohl er sie umgekehrt mit ihren Nachnamen ansprach, auch wenn sie ihn baten, damit aufzuhören.
    Charlie war ein besserer Metzger als Will, und die Frauen waren beeindruckt, ohne ein Wort darüber zu verlieren, weil sie Will nicht kränken wollten. Charlies Steaks sahen besser aus, sie hatten genau den richtigen schmalen Fettrand. Den Braten band er ihnen mit Schnur zusammen, damit er fix und fertig für den Ofen war, und die Schweinekoteletts belegte er mit hauchfein geschnittenen Speckscheiben.
    Und so tranchierte Charlie das Fleisch und bezirzte die Damen, eine nach der anderen, aber ganz abgesehen vom
Bezirzen behandelte er jede von ihnen, ob schwarz oder weiß, ob reich oder bettelarm, ob sie nun Dollarscheine in der Tasche hatte oder nur Münzen, mit der gleichen Ehrerbietung und scheuen Freundlichkeit, und so gewann er ihre Herzen, während Will das Geld entgegennahm und Sam aus dem Richmond Times Dispatch vorlas. Was er Tag für Tag tat, von vorne bis hinten, von Politik bis Sport, einschließlich der Bildüberschriften und der praktischen Hausfrauentipps, zum Beispiel, dass Strumpfhosen länger hielten und keine Laufmaschen bekamen, wenn man sie ins Gefrierfach legte.
    Sam war verrückt nach allen möglichen Sportarten, auch wenn er etwa eine Tennispartie noch nie gesehen hatte, und natürlich mochte er Comics, die er beinahe schon selbst lesen konnte, obwohl er erst in einem Jahr eingeschult würde.
    Er sprach über Joe DiMaggio und Steve Canyon und Popeye und Harry Truman, als wären das Leute, die er wirklich kannte und die jederzeit in Brownsburg auftauchen könnten. Sein besonderer Held war jedoch Jackie Robinson, und er redete endlos darüber, wie Jackie auf dem Spielfeld den Ball schlug, was er einen Allrounder nannte, obwohl niemand wusste, woher er diesen Ausdruck hatte. Es gab Dinge, die ein Junge einfach wusste.
    Am Ende von Charlies erster Arbeitswoche, an einem Freitag Ende August des Jahres 1948, betrat eine Frau die Metzgerei, und das ist der Punkt, an dem die Geschichte einen anderen Verlauf nimmt und zu einer Legende wird, zum mahnenden Beispiel, wie es ein Vater seinem Sohn weitergibt oder eine Mutter ihrer Tochter, wenn das Mädchen beginnt, von romantischer Liebe zu träumen, der Art von romantischer Liebe, wie man sie oft in Kinosälen zu sehen bekommt. Die Lichter gehen aus, mit leisem Rattern wandert
die Filmrolle über den Projektor, und selbst die alltäglichste Geste wird zu etwas ganz Besonderem. Alles kommt zum Stillstand, und es beginnt etwas Neues, das sich niemand erklären kann.
    Die Glocke über der Tür bimmelte, und alle drehten sich um, um zu schauen, wer da reinkam, so wie das immer der Fall war. Sie betrat die Metzgerei auf leisen Sohlen, und alle schauten sie an, doch anstatt sich wie sonst einfach wieder umzudrehen und das Gespräch fortzusetzen, starrten alle sie an, und keine der Frauen, keine Einzige, grüßte sie.
    Charlie hatte sie noch nie gesehen, kein einziges Mal, und dabei hatte er geglaubt, alle in der Stadt zu kennen. Es war sofort klar, dass sie anders war als andere Frauen. Sie hatte das junge frische Gesicht eines Mädchens vom Lande und war gerade mal zwanzig Jahre alt. Sie trug einen Ehering und einen Verlobungsring, so viel war klar, aber dabei sah sie aus, als käme sie aus einer anderen Welt direkt in diese Metzgerei, aus irgendeiner der Städte, durch die Charlie in der Zeit, die er unterwegs verbracht hatte, gekommen war.
    Sie trug ein weißes Sommerkleid aus Leinen, obwohl der Sommer fast vorüber war  – damals hatten solche Dinge noch eine Bedeutung  –, ein weißes Kleid mit einem olivgrünen Gürtel um die schmale Taille und einem tiefen Dekolleté, das so elegant und modisch geschnitten war, dass das Kleid auf keinen Fall aus Brownsburg kommen konnte. Ihr Mund war ein purpurroter Strich, und ihre Haare türmten sich in schimmernden blonden Wellen auf ihrem Kopf, wo mehrere strassbesetzte Schildpattkämmchen sie

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