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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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den Pick-up und dachte an Almas blitzsauberes, sorgfältig gebügeltes Bettzeug, das nach Wäschebleiche und Sonnenschein duftete.
    Draußen am Fluss gefiel es ihm besser. Er war daran gewöhnt, allein zu sein, und die Nähe all der menschlichen Leiber um ihn herum in dem Haus machte seinen Schlaf so unruhig, dass er am nächsten Tag unausgeruht war. An den meisten Tagen und Abenden aß er das, was Alma für ihn gekocht hatte, und war dankbar darum, nicht mehr von Sandwiches und Cola zu leben.
    Wenn er dann im Dunkeln zum Fluss zurückfuhr, rauchte er und beobachtete die Tiere. Er mochte es, das brennende Ende seiner Zigarette aus dem Fenster zu schnippen und zuzuschauen, wie es auf die Straße neben ihm fiel und dabei einen Meteorenschwarm von Funken abgab, der dann in der Ferne immer kleiner wurde, ein feuerrotes Leuchten in
der vorbeiziehenden Schwärze, wie Flintstein auf Stahl, ein Glühen, das nur einen kurzen Moment andauerte und doch noch lange auf seiner Netzhaut brannte. Was für ein Wunderwerk in seinem Rückspiegel  – seine Augen, die vorbeirasende Straße, das Verglühen einer Lucky im Dunkeln.
    Einmal warf er genau in dem Moment seine Zigarette aus dem Fenster, als seine Scheinwerfer auf den reglosen Körper eines verendeten Tieres fielen, einer stattlichen Hirschkuh, die, von einem Auto angefahren, tot am Straßenrand lag, die Augen starr vor Todesangst. Danach dachte er jedes Mal, wenn er den Funkenregen seiner Zigarette sah, an jenes tote Reh, und an die Beständigkeit von Angst, die dich nicht mehr loslässt, wenn sie dich erst einmal gepackt hat. Und er hoffte, dass sie ihn niemals packen würde.
    Er dachte an seinen Bruder Ned, der immer diesen starren, staunenden Blick eines verendeten Tieres im Scheinwerferlicht gehabt hatte. Er hatte Ned seit Kriegsende nicht mehr gesehen, doch jetzt stand ihm sein Gesicht so klar und deutlich vor Augen, als könnte er die Hand danach ausstrecken und es berühren. Von da an sagte er jeden Abend, wenn er seine Zigarette aus dem Fenster warf und ihr im Rückspiegel beim Verglühen zuschaute, den Namen seines Bruders, und der Funkenregen war untrennbar verbunden mit Neds Gesicht und seinem Namen. Eines Tages, dachte er dann, werde ich sehen, wie er heute aussieht, als Erwachsener. Doch dann waren die Funken verglüht, und auch Ned war verschwunden, bis zum nächsten Abend und zur nächsten Lucky auf dem Asphalt.
    Am Fluss, auf dem Land, das jetzt ihm gehörte, erwachte er jeden Morgen vor Sonnenaufgang, ihm war warm von seiner Steppdecke und der aufkommenden Hitze und seinen gewöhnlich angenehmen Träumen. Auch dieser Tag
würde wohl ein guter Tag werden, dachte er, wusch sich leichten Herzens das Gesicht und rasierte sich.
    Es wurde gerade hell, wenn er beim Metzgerladen eintraf. Das mochte er am meisten am Alleinsein: Man konnte die Dinge genau so haben, wie man sie wollte, und es gab niemanden, der einem über die Schulter schaute.
    Die Stunde, bis Will auftauchte, nutzte er, um den Laden zu putzen, den Holzboden zu wischen und frische Sägespäne auszustreuen. Jeden Morgen. Er verteilte Salz auf dem Metzgerblock und rieb es mit einer Stahlbürste ein, um die Spuren all der Steaks und Koteletts und Bratenstücke, all das Blut von gestern zu beseitigen. Er wusch den Marmortresen mit Lauge und warmem Wasser ab. Er schaute im Kühlraum nach den Beständen und notierte, was gebraucht wurde, was sich gut verkaufte und was nicht.
    Um das Radio einzuschalten, war es zu früh. Vor neun Uhr kam nichts auf dem Sender, der sowieso nur fern und von statischem Rauschen begleitet zu hören war, und so summte Charlie vor sich hin, während er alles bereit machte: alte Lieder, die ihm seine Großmutter vorgesungen hatte, und Songs, die er gerade gestern erst gehört hatte, Neues aus Nashville.
    All diese Country-Musik war ihm neu, und er mochte sie. Sie fühlte sich an wie Zuhause, all diese hellen, hohen Stimmen aus den Bergen, die vom Himmel und der Hölle, von Betrug und Verlust sangen. Es gab Lieder über Liebe und Mord. Etwas an diesen Songs weckte in Charlie die Erinnerung daran, wie es war, wenn man verliebt war, und die Sehnsucht, es wieder zu sein.
    Er legte die dicken Speckstreifen in ordentlichen Reihen aus, Speck, den Will selbst geräuchert hatte, lecker und salzig, und drapierte Petersiliensträußchen um den Aufschnitt,
der von gestern übrig war. Mit der sauberen Knochensäge schnitt er die Koteletts von gestern an und drehte die Steaks und Bratenstücke

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