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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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sein.«
    Boaty war sich nicht ganz sicher, was sie damit meinte, doch in seinem Gehirn hatte es zu arbeiten begonnen, und tatsächlich gab es da ein paar Dinge, von denen er gehört hatte, dass Mädchen sie tun, und obwohl er sich nicht ganz sicher war, ob er sie tun wollte, wusste er, dass man von ihm erwartete, dass er sie sich wünschte, und wenn Hollywood ihm dabei half, das herauszufinden, dann würde er es wohl
in der Tat einmal probieren. Irgendwie schien ihm das keine so schlechte Idee zu sein.
    Und so fuhren sie tatsächlich, fünf Tage hin und fünf Tage zurück, in einem Pullman, und die Woche, die sie in einem schicken Hotel am Hollywood Boulevard verbrachten, kostete ein Vermögen. Boaty sprach nie darüber, aber was auch immer er über die Dinge herausfand, die Frauen so tun konnten  – es nahm ihm nicht sein schlechtes Gewissen.
    Für Boaty war’s das, nicht mehr und nicht weniger. Er hatte die Welt gesehen, zumindest glaubte er das, obwohl die Grenzen dieser Welt außerhalb von Brownsburg für immer in Fort Bragg, North Carolina, und in Hollywood, Kalifornien, liegen würden, und das war vollkommen in Ordnung für ihn. Als Boaty damals von letzterem Ort zurückkam, einem Ort, der hässlich und voller ungehobelter Leute war, wo selbst die kleinsten Dinge überteuert waren, wo jeder zu viel Haut zeigte und zu viele Zähne im Mund hatte, hatte er genug gesehen.
    Doch für Sylvan war das etwas ganz anderes. Sylvan Glass fing gerade erst an. Und dafür brauchte sie Claudie Wiley.

8. KAPITEL

    C laudetta Wiley war ein Genie. Und sie war es immer schon gewesen. Sie lebte in einem klapprigen alten Haus mit Schindelwänden, draußen am Stadtrand, inmitten von anderen Schwarzen, mit einer geistig zurückgebliebenen Tochter, die niemand zu Gesicht bekommen hatte, seit sie ein Baby war, weshalb sie vielleicht da war und vielleicht auch nicht, vielleicht war sie auch gar nicht geistig zurückgeblieben. Claudie wohnte in dem letzten Haus, bevor die Felder anfingen, und ihre Behausung war so heruntergekommen, dass sogar die anderen Schwarzen nur hingingen, wenn sie mussten, und einige Leute sagten, das Haus sei grün, andere, es sei grau, doch es gab niemanden, der nicht wusste, dass Claudie Wiley eine ganz besondere Begabung hatte. Claudie Wiley konnte nähen.
    Sie war eine kleine, aber stolze Frau mit wildem Haarschopf und einer ausgeprägt hellen Haut, was man damals »high yellow« nannte. Von der Taille aufwärts war sie schmal gebaut, doch ihre Oberschenkel und Beine waren unförmig und dick. Ihre Augen schauten den Betrachter direkt an, ohne das Zögern oder die Schüchternheit, die die meisten Schwarzen den Weißen entgegenbrachten. Unterwürfig war sie nie, denn sie wusste von der genialen Begabung, die
in ihren langen schlanken Fingern steckte, Fingern, die sich unablässig mit Nadel und Faden zu schaffen machten, und dabei war sie sich ihrer selbst so sicher, dass sie gar nicht hätte sagen können, warum. Jemanden wie sie gab es sonst einfach nicht, und wie bei Sylvan Glass war die Festigkeit ihres Charakters und ihrer Art etwas, das sich schon in jungen Jahren entwickelt hatte. Dennoch war es eine Begabung, die einzig und allein von Gott kommen konnte.
    In diesem Haus mit seinen nackten Holzböden, den zerbrochenen Fensterscheiben und den zerrissenen Spitzenvorhängen gab es nur einen einzigen Raum, den Besucher zu sehen bekamen, und das war derjenige, in dem sie ihre Kundschaft empfing. Claudie Wiley schneiderte Kleider für die meisten Frauen in der Stadt, ganz gleich, ob schwarz oder weiß. Jedenfalls schneiderte sie das, was die Frauen trugen, wenn sie besonders gut aussehen wollten. Auch die Änderungen für Grossman’s machte sie, und seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr rüstete sie jede Braut, jede Brautjungfer und Brautmutter in der Stadt aus.
    Ihre eigene Großmutter, die sie großgezogen hatte, nachdem ihre Mutter auf der Suche nach einem besseren Leben  – ohne Bödenschrubben  – nach Kalifornien durchgebrannt war, sagte, ihre Begabung sei ihr angeboren. Mit vier Jahren konnte Claudie eine Nadel einfädeln und nähte Puppen. Sie machte sie aus irgendwelchen Resten, die sie auftreiben konnte, aus Geschirrtüchern, Leinensäcken, abgelegten Kleidern, und im Gegensatz zu ihr selbst lächelten diese Puppen immer. Als sie sechs war, begann sie für sich selbst zu nähen. Sie zog sich an wie ein weißes Mädchen, und es gab einiges Gerede. Ein kleines, mutterloses schwarzes Mädchen,

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