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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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üppig und prachtvoll das alles war. An der Bushaltestelle
wartete sie, ein ungebildetes schwarzes Mädchen vom Lande, ganz ruhig auf den ersten Bus, der sie zurück nach Brownsburg bringen würde. Die Frau und ihr Mann taten nichts, um sie von ihrer Entscheidung abzubringen. Mit Claudie legte sich niemand an, das war klar.
    Und so kam sie wieder nach Hause und nähte, und niemand fragte sie danach, warum sie in das alte Haus zurückgekehrt war. Sie wurde älter. Irgendwann hatte sie ein Baby bekommen, ein kleines Mädchen namens Evelyn Hope, von dem es hieß, es sei geistig zurückgeblieben oder auch nicht, und von dem niemand wusste oder je danach fragte, wer sein Vater war.
    Sie musste sich einen Telefonanschluss legen lassen, damit ihre Kundinnen sie anrufen konnten, und war damit die erste Schwarze in der ganzen Stadt, die ein Telefon hatte. Niemals rief sie selber jemanden an. Sie bekam Anrufe. Sie verdiente so viel Geld wie die meisten Weißen, arbeitete dafür aber doppelt so viel, meist bis spät in die Nacht, und oft war sie unterwegs, um den reichen Frauen, die nun nicht mehr zu ihr kommen mussten, die Kleider anzupassen. Schließlich kaufte sie sich ein Auto. Es war ein Packard Super Clipper, zweifarbig und ihr Ein und Alles, auch wenn er vorher Boaty Glass gehört hatte. Die Jungs aus der Nachbarschaft wuschen ihn jeden Samstag für sie, und ein Mal im Monat wachsten sie ihn, bis seine rot-silberne Karosserie in der Sonne funkelte. Claudie brauchte nichts und niemanden, und niemand trat ihr zu nahe. Man redete auch nicht viel mit ihr, außer wenn es um Stoffmengen und Falten und Abnäher ging, und ihr war das vollkommen recht so. Männer wurden von ihrer Selbstständigkeit und dem offenkundigen Fehlen eines Bedürfnisses nach einem Mann abgeschreckt, und die Frauen hatten schlicht und ergreifend
Angst vor ihr, wie vor jeder schwarzen Frau, die es schaffte, ganz allein ihren Mann zu stehen, Nadelstich für Nadelstich.
    Mit diesem Auto fuhr sie, wo auch immer die Kundinnen sie hin baten, und dann hielt sie vor großen Häusern, ging zur Hintertür, blieb manchmal über Nacht in einem Dienstbotenzimmer und machte überall im Land Kleider für Damen aus gutem Hause und von Lampenfieber geplagte Debütantinnen. Man behandelte sie nicht schlechter als jeden anderen Schwarzen ihrer Generation, vielleicht auch besser, weil klar war, dass Claudie etwas Besonderes war, ja dass sie beinahe über die magischen Kräfte einer Hexe verfügte, wenn es darum ging, aus einem Stoffballen ein Kleid zu zaubern.
    Und dann war es so weit. Strahlend gingen die Bräute den Mittelgang der Kirche entlang, vor ihnen die Brautjungfern, die selber aussahen wie Feen aus dem Märchen. Die Damen des Garden Clubs saßen in ihren eigens angefertigten Kleidern zum Lunch zusammen und nahmen die Komplimente entgegen, als wäre das alles gar nichts Besonderes, aber dann gaben sie doch Claudies Namen und ihre Telefonnummer unter ihren Freundinnen weiter, und diese hatten es eilig, nach Hause zu kommen und sie anzurufen. Debütantinnen schwebten in Kleidern aus der Schneiderwerkstatt von Claudie Wiley zur Tanzfläche und senkten den Kopf so tief, dass er den Boden berührte, der sogenannte »Texas-Knicks«, den man zum Beispiel im Jefferson Hotel in Richmond bewundern konnte, während an den Tischen silber- und blauhaarige Frauen und Männer über die Zukunft der Mädchen beratschlagten und Ehen schlossen.
    An Boston dachte Claudie nie mehr, ebenso wenig wie an die wohlmeinende weiße Frau oder an das, was sie vielleicht aus ihrem Leben hätte machen können. Sie tat das, was sie
konnte, und allein der Gedanke, eine schwarze Frau hätte damals noch etwas anderes erreichen können, kam jedem so töricht vor, wie er für sie selbst beängstigend gewesen war.
    Claudie wusste, dass sie zu vielem fähig war, und langsam sammelte sich ihr Geld auf der Bank an, mehr als bei jedem anderen Schwarzen in der Stadt, mehr auch als bei vielen Weißen, obwohl sie nie darüber nachdachte, wie viel sie denn nun tatsächlich bereits auf der hohen Kante hatte. Sie wartete einfach nur darauf, dass ein Teil ihres Jungmädchentraums wahr wurde, und nur gelegentlich ging noch die Phantasie mit ihr durch, und sie griff nach dem Zeichenpapier in ihrer Küchenschublade, um mit ein paar kühnen Strichen ein Kleid zu zeichnen, so prachtvoll, dass es niemals einen Anlass geben würde, zu dem sie es tatsächlich nähen konnte.
    Bis eines Tages Sylvan Glass durch ihre Tür

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